Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik ist kein einfaches. Oder vielleicht sollte man sagen von akademischen Institutionen und politischen Institutionen. In den letzten Jahrzehnten hat sich dieses Verhältnis verändert. Verwaltung und Parlament wünschen sich immer häufiger wissenschaftliche Expertise – deswegen wohl ist evidence based policy making derzeit so en vogue. Gleichzeitig werden wissenschaftliche Resultate im politischen Alltag immer häufiger zur Untermauerung der eigenen Position eingesetzt, nach dem Motto: Wer die Wissenschaft an seiner Seite hat, hat die Glaubwürdigkeit an seiner Seite und damit einen Trumpf in der Hand. Nur blöd, dass sich unterschiedliche Standpunkte mit «der Wissenschaft» an ihrer Seite brüsten.
Die Rolle des Kronzeugen in politischen Konflikten korrumpiert aber die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft: «Mit Statistik/Wissenschaft/Forschung (you name it) kann man alles beweisen.» Wissenschaft, oder das was für Wissenschaft gehalten wird, ist längst zum Teil der politischen Arena geworden.
Die Verflechtung zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ist noch enger: Schliesslich ist es die Gesellschaft, die Politik oder der Staat, welche die akademischen Institutionen mehrheitlich finanziert und teilweise auch steuert.
In akademischen Institutionen herrscht aber noch immer die Vorstellung einer Chinesischen Mauer vor. Wissenschaft ist in diesem Bild nicht Teil der Gesellschaft oder des politischen Raums. Wissenschaft findet in diesem Bild in einem separaten Raum statt: Hinter der Chinesischen Mauer. Wissenscahft forscht in diesem politikfreien Raum (fast klösterlich) und schickt ihre Resultate über die Mauer hinweg in den politischen Raum der Gesellschaft.
Es ist an der Zeit, diese chinesische Mauer niederzureissen und gleichzeitig die Kronzeugen-Rolle abzulegen. Kronzeugen gestalten nicht, sondern sind Zeugen der Anklage.
Es gibt genügend Rollen, die die Wissenschaft in politischen Prozessen ausfüllen kann. Es würden den akademischen Institutionen gut anstehen, diese Rollen nicht zugewiesen zu erhalten, sondern diese selbst zu definieren.
Vor ein paar Wochen hätte ich dir intuitiv und uneingeschränkt recht gegeben. Pius Knüsel,
http://sciencecomm.ch/index.php/sciencecomm-blog/163-wissenschaftskommunikation-abschaffen
Frank Marcinkowski und Matthias Kohring
http://www.volkswagenstiftung.de/wowk14/marcinkowski_kohring.html
haben für mich aber einen wichtigen Aspekt aufgebracht: Braucht es nicht eine elfenbeinerne chinesische Mauer, damit dahinter eine Art Subkultur aufbauen kann, die gewissen vorhersehbaren Regeln folgt und man nicht dauernd Angst haben muss, sich mit politischen Argumenten herumschlagen zu müssen? Meine Meinung ist noch nicht gemacht.
Frank Marcinkowski und Matthias Kohring haben durchaus recht: Wissenschaft braucht keine Kommunikation, um zu funktionieren. Sie hat ihre eigenen Methoden. Das meine ich aber nicht: Das wissenschaftliche und akademische System, das man in sich als Elfenbeinturm bezeichnen kann, ist in den letzten Jahren zunehmend mit anderen gesellschaftlichen Systemen vernetzt worden. Man spricht ja nicht umsonst von der Netzwerkgesellschaft (vgl. dazu Dirk Bäcker Netzwerkgesellschaft und Systemtheorie). Die Bezüge und Verflechtungen sind sehr dicht. Das Wissenschaftssystem ist ohne das Wirtschaftssystem oder das politische System gar nicht mehr denkbar. Damit vollzieht sich gesellschaftlich, was auf persönlicher Ebene längst Tatsache ist: Der Klimaforscher, ist ja auch noch Bürger und ist an einer Firma für Co2-Zertifkatshandel beteiligt. Kurz: mir geht es nicht um die Frage, ob Wissenschaft Kommunikation braucht, sondern wie Wissenschaft in diesem Umfeld noch ihre Integrität wahren kann.