Wer mit Steuergeldern forscht, sollte seine Resultate den Geldgebern – der Öffentlichkeit – frei zur Verfügung stellen. Das heisst kostenlos und einfach zugänglich. Der Open Access wird nun schon lange gefordert. Mit der Analyse der Volksabstimmung zur Masseineinwanderung vom 9. Februar erhält diese Forderung aber eine neue Brisanz.
Sozialwissenschaftler, die sich nicht über die Schulter schauen lassen wollen
Rudolf Strahm, der ehemalige Preisüberwacher, hat sich heute in seiner Kolumne im Tages-Anzeiger/Bund über eine „ideologische“ Interpretation des Stimmverhaltens am 9. Februar durch den Forschungsleiter und Politologen Pascal Sciarini beklagt (VOX-Analyse). Um seine eigene, „nach der Betroffenheit der Abstimmenden“ Interpretation von den Daten machen zu dürfen, sei Strahm jedoch auf „alte Beziehungen“ angewiesen gewesen, durch die er an den 58-seitigen Bericht mit den statistisch-technischen Auswertungen herangekommen sei.
Ich will hier nicht entscheiden, ob die Analyse Strahms zutreffender ist als die von Sciarini. Mich befremdet jedoch auch, dass die Originaldaten der vom Bund finanzierten VOX-Analysen nicht öffentlich einsehbar sind. Wieso gibt es weder auf der publizierten Analyse, noch auf der Website des Meinungsforschungsinstituts GFS, das die Umfragen durchführte, noch auf den Websites der Forscher, noch bei der Bundeskanzlei einen Link zu den Daten? Warum sind die Detaildaten beim Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften (Fors) nicht für alle zugänglich? (Die Daten bis 2010 sind nach einer Registrierung zugänglich.)
Mit dieser Geheimniskrämerei stehen die Sozialwissenschaftler inzwischen heute sogar hinter der Pharmafirma Roche, die (zwar unter erheblichem Druck) schlussendlich die Originaldaten ihrer klinischen Studien zu Tamiflu herausgerückt haben. Es gibt gute Gründe, Daten nicht öffentlich zu machen: Privatsphäre, Geschäftsgeheimnis, Kompromissfindung hinter verschlossenen Türen… Auf die von Steuerzahlern finanzierte Forschung zur politischen Meinungsbildung trifft keiner dieser Gründe zu. Womöglich hätte sich Strahm auch auf das Öffentlichkeitsgesetz berufen können.
Erstaunlicherweise ist der Open Access nach Jahren der Diskussion immer noch eine offene Baustelle. Verlage, deren Geschäftsmodell auf der Verbreitung von wissenschaftlichen Publikationen beruht, sträuben sich gegen eine Öffnung. Ohne Zweifel haben auch sie ein Recht, für ihre Arbeit belohnt zu werden. Dass deswegen immer noch sechs Monate vergehen dürfen, bis vom Schweizerischen Nationalfond finanzierte Projekte offen zugänglich gemacht werden müssen, ist mir unverständlich. Es ist Zeit, dass die Verlage ihr Geschäftsmodell anpassen, damit die Wissenschaft offener werden kann.
Pascal Sciarini hat auf Strahms eigene Analyse der Vox-Daten reagiert: sie sei „unfundiert“ und „irreführend“.
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Inhaltlich-irrt-Herr-Strahm-in-drei-Bereichen/story/18239654
Dass wir uns von Aussen keine eigene, fundierte Meinung machen können, weil die Daten nicht öffentlich sind, darauf reagiert Sciarini nicht. Sciarini sagt lediglich, dass er kein „Interpretationsmonopol“ habe, weil die Partnerinsititutionen in Bern und Zürich auf die Daten Zugriff hätten und so die „Qualität der Analyse sicherstellten.
Sciarini möchte also, dass wir müssen blind der Autorität von Fachpersonen vertrauen. Wenn die drei Parnerinstitutionen die Daten für ihre Aussagen geheimhalten, untergraben sie aber genau die Basis für dieses Vertrauen.