Zu Beginn ein kleines Gedankenspiel: Überlegen Sie sich einmal, in welchen Bereichen Ihres Alltagslebens Sie Kunststoffe verwenden. Oder besser: Überlegen Sie, in welchen Situationen Sie keine nutzen. Das geht vermutlich schneller. Kunststoffe sind aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. „Wir leben im Zeitalter des Kunststoffs“, bekräftigte Nico Bruns vom Adolphe Merkle Institut an der Uni Fribourg. Er muss es wissen, schliesslich beschäftigt er sich als Professor für Makromolekulare Chemie tagtäglich mit allen möglichen Sorten von Kunststoff. Bruns war einer von drei Experten am dritten Wissenschaftscafé des Semesters, das sich diesem alltäglichen Material von wissenschaftlicher Seite zu nähern versuchte.
Plastik ist nicht gleich Plastik
Wie Bruns zu seiner These vom „Zeitalter des Kunststoffs“ kam, verdeutlichte er in seinem Beitrag anhand einer Statistik, die zeigte, dass die jährliche Kunststoffproduktion zwischen 1950 und 2012 von knapp über null auf fast 300 Megatonnen pro Jahr angestiegen ist. Die Statistik wies ausserdem aus, dass sich die Kunststoffproduktion analog zum allgemeinen Wirtschaftswachstum erhöhte. Und so ist Plastik aus unserem Alltag heute nicht mehr wegzudenken, schon beim morgendlichen Zähneputzen sind wir auf ihn angewiesen. Seine Popularität gründet nicht zuletzt in seinen diversen Vorteilen: „Er ist günstig, leicht und vergleichsweise einfach zu produzieren“, wie Bruns zusammenfasste.
Kunststoffe sind sogenannte Makromoleküle, führte der Chemiker weiter aus. Das sind grosse Moleküle, die sich aus zahlreichen Monomeren zusammensetzen, was unter anderem zur Folge hat, dass sich ihre Struktureigenschaften einfach verändern lassen. Das erklärt den Variantenreichtum der verschiedenen Plastiksorten: PET, PE, PVC, PUR sind nur einige wenige Beispiele. „Plastik ist nicht gleich Plastik“, so Bruns’ eingängige Formel. Das hat seine Vorteile darin, dass für unterschiedlichste Gebrauchszwecke Kunststoff eingesetzt werden kann. Doch auch die Nachteile des Materials hängen damit direkt zusammen: Zwar sind manche Kunststoffsorten sehr einfach recyclebar, weil sie sich selbst zersetzen. Das gilt jedoch bei weitem nicht für alle Plastiksorten. Die Umweltproblematik begleitet den Kunststoff seit seiner Entstehung, und sie wird bei der exponentiellen Zunahme seiner Produktion vorerst auch kein Ende nehmen. Das Problem liegt vor allem darin, dass weltweit 38% des Plastiks auf Müllkippen statt in Recyclinganlagen landet. Die Schweiz verhält sich diesbezüglich vorbildlich: Nur 1% des Kunststoffs endet auf Müllkippen, der Rest wird in unterschiedlichen Verfahren recycled.
Plastik in der Umwelt
Bei der Umweltproblematik setzte der Beitrag des ETH-Professors Bernhard Wehrli an. Der bei der Eawag in der Abteilung Oberflächengewässer beschäftigte Wehrli zeigte den Zuhörern im Saal das Bild eines Sees in Rumänien, dessen Oberfläche übersät war mit Petflaschen und anderen Kunststoffen. Sein Referat handelte also von der Kehrseite der Plastikproduktion: Dem Plastikmaterial, das in die Umwelt, speziell in Gewässer, gelangt.
Dass es sich hierbei um ein globales Problem handelt, von dem letztlich auch die Schweiz – trotz ihrer Bemühungen um umweltgerechte Entsorgung – betroffen ist, unterstrich Wehrli am grotesken Beispiel eines Containerschiffs, das im Jahr 1992 voll beladen mit Plastikspielzeug den Hafen von Hongkong verliess und wenig später mitten im Pazifik kenterte. Die Spielzeugwaren wurden noch 15 Jahre später an allen möglichen Ecken der Welt angeschwemmt. Es gibt heute im Meer ganze Müllströme, die für die Tierwelt gefährlich werden können: Seehunde verheddern sich in alten Fischernetzen und strangulieren sich selbst. Entensturmvögel, die im Meer nach Fischen jagen und dabei oft nur Plastikteile erwischen, werden mit allerlei Kunststoffresten im Magen tot am Strand aufgefunden. Ein weiteres Beispiel sind invasive Arten, die sich auf Plastikmüll festsetzen und mit der Meeresströmung in fremde Ökosysteme gelangen können.
Wie perfide und weitreichend die Gewässerverschmutzung mit Plastik ist, zeigte Wehrli abschliessend am Beispiel einer Outdoor-Faserpelzjacke, die er eigens mitgebracht hatte. Auch diese Jacken bestehen zu einem grossen Teil aus Plastikfasern, die beim Waschgang ins Abwasser gelangen. Auch wenn man noch so streng auf Mülltrennung achtet: bei der heutigen Verwendung von Plastikteilchen in allen möglichen Stoffen scheint ein gewisses Mass an Umweltverschmutzung unvermeidbar zu sein.
Plastik in der Nahrung
Neben den Folgen für die Umwelt fällt ein anderes Problem ins Gewicht: Plastikbestandteile in unserer Nahrung. Der Toxikologe Rex Fitzgerald machte genau dies zum Gegenstand seines Vortrags. In der gegenwärtigen Debatte stehen vor allem das Bisphenol A, das für Beschichtungen auch in sogenannten food contact materials eingesetzt wird, sowie die Phthalate, ein Weichmacher, der zum Beispiel bei Kinderspielzeug verwendet wird. Bei beiden Stoffen sind die allfälligen schädlichen Auswirkungen bislang nicht genau bestimmt. Doch während Bisphenol A mittlerweile zumindest in Baby-Trinkflaschen verboten ist, hat die EU im Jahr 2004 ein definitives Verbot von Phthalaten erlassen, da sie beispielsweise die Testosteronproduktion beeinträchtigen können. Hier zeigt sich ein weiteres Mal die Tücke des Materials: Die Gefahren sind unbestimmt und werden deshalb meist nur mit erheblicher Zeitverzögerung erkannt. PVC, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde, konnte erst 50-60 Jahre später als Verursacher von Krebs bestimmt werden.
Trotzdem war es Fitzgerald ein Anliegen, das Material nicht per se zu verteufeln. Die allermeisten Kunststoffe seine „völlig okay“ und stellten keine Gefahr für die Gesundheit dar. Es sind vor allem die Phthalate und das Bisphenol A, deren Auswirkungen auf unsere Gesundheit kritisch hinterfragt werden müssten. Restlos überzeugt schienen die Zuhörer im Saal jedoch nicht.
Umweltproblematik bewegt
In der abschliessenden Plenumsdiskussion stand dann jedoch primär die Umweltproblematik im Zentrum des Interesses. Moderator Christoph Keller richtete an Nico Bruns die Frage, ob man nicht sämtliche Plastiksorten aus biologisch abbaubarem Material herstellen könne, nach dem Vorbild der bioabbaubaren Komposttüten, die es heute schon gibt. Bruns antwortete, dass dies aus chemischer Sicht kein Problem wäre. Aber: „Diese zusätzliche Funktion kostet. Ausserdem soll Plastik vielerorts durchaus lange Zeit halten, denken Sie zum Beispiel nur an Ihre Fensterrahmen.“ In vielen Bereichen wären bioabbaubare Stoffe schlicht nicht geeignet, zum Beispiel auch bei Plastikbechern, die sich bei Kontakt mit heissen Flüssigkeiten rasch auflösten. Sinn mache die Produktion von abbaubaren Kunststoffen überall dort, wo ein hohes Risiko bestehe, dass die Stoffe am Ende in die Natur gelangen, argumentierte Bruns. „Man muss jedoch bedenken, dass die Bestandteile jener Stoffe nach ihrem Zerfall nicht einfach weg sind, sondern als Monomere möglicherweise noch immer schädliche Verbindungen eingehen können.“
Eine andere Frage betraf die exponentiell steigende Plastikproduktion, die den Schluss zuliesse, dass sich das Umweltproblem in den nächsten Jahren massiv verschärfen dürfte. Bernhard Wehrli stimmte zu: „Die Produktion hat sich in den letzten acht Jahren ungefähr verdoppelt. Steigt die Kurve weiterhin so steil an, wird es tatsächlich zum grossen Problem, falls nicht gleichzeitig das Plastikmanagement besser wird.“ Bezogen auf mögliche Gegenmassnahmen nannte Wehrli Ruanda als Beispiel, das unter anderem die Einfuhr und die Verwendung von Plastiktaschen verboten hat, weil sich keine entsprechenden Entsorgungs- bzw. Verbrennungsanlagen im Land befinden, um dem Plastikmüll Herr zu werden. Rex Fitzgerald nannte ein anderes Beispiel einer kleinen afrikanischen Stadt, die jedem ihrer Bürger Geld versprach, wenn sie die Plastikabfälle an den Strassenrändern einsammelten. „Ein paar Tage später war die Stadt sauber“, berichtete Fitzgerald. Die Beispiele weisen vor allem auf eines hin: Die Entsorgungstechnologie muss unbedingt mit der Plastikproduktion mithalten, ansonsten droht ein Kontrollverlust über die Müllmassen.
Der Artikel wurde von der Universität Basel in Auftrag gegeben und bezahlt.