Afrika ist „in“, Afrika boomt! Die Förderung bisher unangetasteter Bodenschätze lässt neue Märkte entstehen. Die gigantischen landwirtschaftlichen Nutzflächen machen Afrika in Zeiten globaler Märkte zu einem respektablen Player. Von diesem Aufschwung profitieren viele Einheimische, ein neuer Mittelstand bildet sich heraus. Es profitieren aber auch viele Investoren aus dem Ausland, die sich in einem gegenseitigen Wettlauf um Land und Ressourcen auf afrikanischem Boden befinden. Befindet sich Afrika endlich im langersehnten wirtschaftlichen Aufschwung? Oder sind diese positiven Signale letztlich nur Anzeichen eines Neokolonialismus? Die Diskussion war eröffnet im ersten Café Scientifique des neuen Semesters.
Der Wettstreit um Land
Erster Referent war Prof. Olivier Graefe vom Department of Geosciences der Uni Fribourg. Bevor er auf sein eigentliches Thema zu sprechen kam, drückte er ein Unbehagen aus, das ihn bei jeder Veranstaltung über Afrika überkomme: Dass nämlich der Kontinent Afrika als eine homogene Einheit missverstanden werde. Graefe betonte, es sei „eine Anmassung“, Afrika pauschal als einen einheitlichen Kontinent zu denken. Um dennoch einem gewissen Verallgemeinerungsanspruch gerecht zu werden, behandelte er ein Thema, das zumindest für viele Staaten Afrikas und für das Programm der Entwicklungszusammenarbeit zurzeit ganz oben auf der Agenda stehe: Das Ressourcenmanagement.
Dabei stehen lauf Graefe insbesondere zwei Bereiche im Fokus, nämlich das Wassermanagement und die Bodenfrage. Die Entwicklungszusammenarbeit investiert heute sehr viel in die Entwicklung dieser Bereiche, gleichzeitig aber zeigen ausländische Investoren ein wachsendes Interesse an Land und Boden. Graefe erklärte, dass speziell die arabischen Länder sowie Indien und China sich an diesem „land grabbing“ beteiligten, um die eigene Energie- und Lebensmittelproduktion voranzutreiben. Dieser „Wettlauf um Land“, wie Graefe ihn nannte, steht im Spannungsfeld zu den Bestrebungen der Entwicklungszusammenarbeit, die die Bewirtschaftung des Landes durch die Einheimischen als ein Schlüsselmoment der Armutsbekämpfung ausmacht.
Dem Ressourcenmanagement vor Ort fällt die Aufgabe zu, den Prozess der Integration in den Weltmarkt zu begleiten. Dabei beging das Programm der Entwicklungszusammenarbeit in der Vergangenheit oft den Fehler, fertige Konzepte aus Europa zu exportieren und sie schablonenartig in afrikanischen Staaten anzuwenden. Dies produzierte immer wieder negative Konsequenzen und Reaktionen vor Ort. Graefe schloss mit der Feststellung, dass der Wille, Gutes zu tun, alleine noch nicht ausreiche, um einen Turnaround zu schaffen. „Die Leute vor Ort“, so Graefe, „müssen es eigenständig lösen können.“
Illegale Geldflüsse als Entwicklungsbremse
Auch die Ethnologin Dr. Lucy Koechlin, deren Beitrag an jenen Graefes anschloss, wollte nicht in die eingangs formulierte Euphorie einstimmen. Sie befasste sich explizit mit den Schattenseiten des „afrikanischen Aufbruchs“, wie sie es mit leichtem Unterton nannte. Ihr Interesse galt den illegalen Geldflüssen aus den Entwicklungsländern in den letzten zehn Jahren. Koechlin wies darauf hin, dass die Entwicklungsländer in diesem Zeitraum 859 Mrd. Dollar Verlust gemacht hätten, noch im Jahre 2009 habe die Zunahme 11% betragen. Daran konnten auch die im Vergleich zu Europa oder Asien relativ hohen regionalen Wachstumsraten nichts ändern. Und Koechlin spitzte weiter zu: „Für jeden Dollar, den die Entwicklungszusammenarbeit in der letzten Dekade in Afrika investiert hat, sind zehn Dollar an illegalen Geldflüssen wieder aus den Entwicklungsländern herausgeflossen – in diesem Prozess steckt eine enorme subversive Kraft.“ Angesichts solcher Zahlen konnte es nicht verwundern, dass Koechlin den afrikanischen Aufbruch eher skeptisch betrachtete. Gestern habe Afrika unter dem Kalten Krieg und der Geopolitik gelitten, heute unter den illegalen Geldflüssen und der Globalisierung, erläuterte sie. Und machte damit deutlich, dass auch die heutigen Entwicklungen einer globalen und nicht etwa nur einer lokalen Verantwortung unterlägen.
Fünf gar nicht so provokative Thesen
Prof. Elisio Macamo vom Basler Zentrum für Afrikastudien versuchte sich anschliessend an einer Aufzählung verschiedener Deutungsmuster über die Entwicklung des afrikanischen Kontinents, für deren Nennung er an einer Veranstaltung in München „einige Prügel“ bezogen habe, wie er mit einem verschmitzten Lächeln erzählte. Wie sich herausstellen sollte, waren seine Thesen aber weit weniger provokativ als diese Ankündigung vermuten liess.
Das erste Deutungsmuster sah Macamo in der Vorstellung, die westliche Entwicklung sei das Ergebnis eines bestimmten Entwurfs. Dementsprechend wurde die Entwicklungspolitik in Afrika konzipiert. Implizit stand laut Macamo hinter dem Entwicklungsprogramm stets die Frage, was Afrika tun müsse, um so zu werden wie Europa. Der Fokus sei mit anderen Worten zu stark darauf gelegt worden, Afrika wie Europa zu denken.
Das zweite Deutungsmuster bestand in der Idee, die Welt sei gerecht. Diese salopp vorgetragene Bemerkung löste im Plenarsaal vereinzeltes Schmunzeln aus, aber Macamo fügte rasch die Erklärung hinzu, dass sich dahinter die Vorstellung verberge, den wohlhabenden Ländern gehe es gut, weil sie in der Vergangenheit alles richtig gemacht hätten. In Afrika wurden die Probleme stets überbetont, weil davon ausgegangen wurde, dass die Armut des Kontinents auf ganz bestimmte Fehler in der eigenen Entwicklung zurückzuführen sei.
Ein drittes Deutungsmuster besteht laut Macamo in einer Trivialisierung lokaler Politik. Da die Entwicklungskonzepte, sobald sie die Grenze zu den afrikanischen Staaten überschritten hätten, nicht mehr verhandelbar seien, sei die lokale Politik kontrolliert und diszipliniert worden. Die Folge davon sei praktisch deren Ausschaltung gewesen, sie konnte noch nicht einmal ihren eigenen Haushalt organisieren. Damit hängt ein weiteres problematisches Deutungsmuster zusammen, dass nämlich die Entwicklungszusammenarbeit vor Ort über eine Macht ohne Verantwortung verfüge, wie Macamo sich ausdrückte. Die lokale Politik habe mit Technokraten zusammenarbeiten müssen, die ihnen zwar vorschrieben, was sie zu tun hätten, die aber nach aussen hin dennoch nicht in der Verantwortung standen. Wenn etwas schief lief, war somit immer die lokale Politik Schuld, obwohl ihr Einfluss auf die Programme gering war. Als weiteres Deutungsmuster bezeichnete Macamo überdies die Vorstellung, dass es für das Gelingen von Entwicklung perfekte Menschen brauche, die sich „fast wie unter Laborbedingungen“ zu verhalten hätten. Diese Idee hatte zur Folge, dass bestimmte negative Eigenschaften einzelner Menschen überbetont wurden. Nicht zuletzt resultierten daraus rassistische Stereotypen wie die Faulheit oder die Korruption als angeblich typische afrikanische Probleme.
Macamo zog aus seinem Vortrag die Lehre, dass aus der neu entstandenen Süd-Süd-Zusammenarbeit zwischen afrikanischen Staaten und China oder Brasilien neue Probleme entstehen könnten, sollten dieselben Deutungsmuster wieder zur Anwendung kommen. Er meinte aber auch ganz wertfrei, dass sich die Zukunft dieser Entwicklung gegenwärtig noch nicht ablesen liesse. „Entscheidend ist letztlich die Frage, welche politischen Prozesse durch die Präsenz neuer Geldgeber ausgelöst werden.“ Macamo machte deutlich, dass diese Frage entscheidend sei für die Einschätzung, ob Afrika als Kontinent der Zukunft gelten könne oder nicht.
Grosse Fragen, verhaltene Antworten
Die Fragen aus dem Plenum orientierten sich grösstenteils an den ganz grossen Themen. Jemand fragte, ob die Entwicklungszusammenarbeit angesichts dieser negativen Folgen nicht besser gänzlich eingestellt würde. Elisio Macamo konnte daraufhin bestätigen, dass solche Diskurse auch in der Fachwelt geführt würden, allerdings hielt er dagegen, dass die Gelder der Entwicklungszusammenarbeit trotz allem ein wichtiger Posten in vielen afrikanischen Volkswirtschaften seien, auf den nicht einfach verzichtet werden könne. Zudem seien mit der Entwicklungszusammenarbeit auch viele Arbeitsplätze in Europa verbunden.
Ein anderer Zuhörer gab zu bedenken, dass der angebliche Boom in Afrika nichts weiter als ein Strohfeuer bleiben werde, wenn kein markanter Wechsel vom ersten in den zweiten Wirtschaftssektor erfolge. Lucy Koechlin stimmte dieser Einschätzung zu, sie ergänzte jedoch, dass ein solcher Wechsel nicht einfach zu bewerkstelligen sei, da er hohe infrastrukturelle Voraussetzungen verlange und das Interesse ausländischer Investoren gering sei, da es ihnen ja gerade um die Förderung des ersten Sektors gehe.
Klar verworfen wurde schliesslich die Frage, ob man sich nicht Überlegungen über autochthone Wirtschaftsformen machen sollte, die möglicherweise besser mit lokalen Traditionen vereinbar wären als der Kapitalismus. Olivier Graefe äusserte sich sehr skeptisch, was die Umsetzung einer solchen Idee betrifft. Er begründete seine Skepsis mit der Feststellung, dass in Afrika vielerorts langsam eine Mittelschicht emporkomme, die sich sage: „Jetzt sind wir dran!“. Wirtschaftswachstum werde in diesen Schichten gar nicht erst hinterfragt. Lucy Koechlin konnte ausserdem am Beispiel von Tansania zeigen, dass solche vorwärtsschauenden, aber eigenen Ideen wirtschaftlicher Entwicklung „massiv gescheitert“ seien, wie sie sich ausdrückte. „Die wirtschaftliche Verflechtung ist heute einfach zu gross, keine Wirtschaft kann heute noch autochthon sein.“
Als Konklusion lässt sich daraus wohl Folgendes ableiten: Die Entwicklungszusammenarbeit ist von allen Optionen noch immer die am wenigsten schlechte. Entscheidend ist, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und aktuelle Entwicklungen aufmerksam und kritisch zu verfolgen. Dann ist es auch möglich, dass aus der Frage, ob Afrika der Kontinent der Zukunft sei, künftig eine Feststellung wird.
Dieser Artikel wurde von der Universität Basel in Auftrag gegeben und bezahlt.