Ein Kommentar hat mich kürzlich auf einen tollen Artikel in „Forschende Komplementärmedizin und klassische Naturheilkunde“ aufmerksam gemacht. Der Autor, Harald Walach, beklagt sich darin, dass Vergleichsstudien von alternativen und konventionellen Therapien unfair seien. Walach, der zugleich Chefredakteur der Fachzeitschrift ist, meint, das Potential der alternativen Therapien, beim Patienten die Selbstheilung anzustossen, werde vernachlässigt.
Meine Zusammenfassung des Artikels:
Unfair? Nein.
Vernachlässigtes Potential? Ja.
Zuerst zur Fairness: Der Walach macht ein Gedankenexperiment. Zwei Behandlungen: die alternative X, die konventionelle Y. Beide werden – in Gedanken – in einem fairen Test verglichen. Hier das Resultat:
Grafik nach Walach 2001, mit zur Klarheit angepasster Legende. X: alternativ, Y: konventionell
Walach unterstellt also offenbar den Autoren von Vergleichsstudien, sie würden einen spezifischen Effekt als unwirksam abtun, nur weil er klein ist. Ein Beispiel, wer dies unfairerweise getan haben soll, bringt er allerdings nicht. Mir ist keines bekannt.
Neben dieser unbelegten Unterstellung, macht der Walach auch noch einen groben Fehler. Er verwechselt den Placeboeffekt – oder vermischt ihn – mit Messfehlern und der normalen Verbesserung der Patienten, wenn die Zeit verstreicht (Regression zur Mitte). Der Placeboeffekt ist nur der Effekt, der durch die Scheinbehandlung zustande kommt also wie in seinem Artikel erklärt, eine Geistheilung, die durch Schauspieler vorgetäuscht wird. Die Studien, die zum Beispiel zeigen, dass der Effekt der Homöopathie höchstwahrscheinlich auf reinen Placeboeffekten beruht, hat Ben Goldacre in seinem Buch Bad Science/Die Wissenschaftslüge schön zusammengefasst.
Ich erlaube mir deshalb die Grafik von Walach zu entsprechend zu korrigieren. Der spezifische Effekt existiert in der alternativen Form nicht, sonst wäre sie konventionell. Messfehler und normale Verbesserung durch Zeit habe ich weggelassen, da es für nichts mit den Behandlungen zu tun hat.
Trotzdem macht Walach einen guten Vorschlag: Wir sollen den unspezifischen Effekt der Therapie, also das auslösen einer Selbstheilung unbedingt fördern. Meine persönliche Erfahrung in Spitälern ist, dass dieser tatsächlich sträflich vernachlässigt wird. Kaum jemand hat Zeit für eine gute Beratung. Man fühlt sich einer riesigen Maschinerie ausgeliefert. Es wird die ganze Zeit über Gefahren gesprochen, die höchst unwahrscheinlich zum echten Problem werden. Da kann der spezifische Effekt einer Therapie schon einmal zunichte gemacht werden. Schliesslich hat der gute alte Placebo auch noch seinen bösen Gegenspieler: den Nocebo.
Ich schlage also eine kombinierte dritte Behandlung Z (siehe untere Grafik). Sie soll das Beste aus der spezifischen Wirkung und dem heilenden Brimborium verbinden und dadurch den Therapieerfolg verbessern.
Korrektur und Vorschlag für kombinierte Behandlung Z.
Falls aber zum Beispiel der Homöopathieverband Schweiz zeigen könnte, es den Patienten tatsächlich besser geht, wenn sie zum Homöopathen gehen, anstatt sich nur konventionell behandeln zu lassen, zahle ich gerne mit meiner Krankenkassenprämie etwas daran. Ben Goldacre schlägt dafür eine einfache Studie vor, die leider nur noch nie durchgeführt wurde. Alle, die wegen eines bestimmten Problems, sagen wir Migräne, zum Arzt gehen, können optional zusätzlich zum Homöopathen. Sie kommen auf eine Warteliste. Durch eine zufällige Auswahl wird aber nur die Hälfte tatsächlich geschickt. Dabei werden alle konventionelle weiterbehandelt. Wenn es der Homöopathengruppe nachher besser geht, wäre das ein schönes Resultat.
P.S. Der Autor, Harald Walach, ist ein alter Bekannter der Pseudowissenschaftlichen Szene. Bereits dieser Artikel – ein Editorial – reicht, dass man die Qualität der Zeitschrift „Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde“ immer zuerst genau überprüfen sollte. Trotzdem wird er von der etablierten Wissenschaft nicht etwa mundtot gemacht. Ich möchte nur Verschwörungstheorien vorbeugen.
Das Unfaire besteht nicht in der Interpretation, sondern im Design, genauer gesagt: nicht darin, dass zu kleine Effekte als unwirksam abgetan würden, sondern dass immer X-Verum mit X-Plazebo verglichen wird, anstatt auch X mit Y zu vergleichen.
Unfair ist es deshalb, weil dadurch das (von dir anerkannte) vernachlässigte Potenzial nie quantifiziert und wissenschaftlich belegt wird, was aber die Voraussetzung wäre, damit nicht nur du es, sondern auch die evidenzbasierte Gesundheitsindustrie und Krankenkassen es anerkennen.
Wenn keine Zahlen, dann Keine zahlen.
Das ist nicht das unfaire, sondern das faule. Wie gesagt, es ist nicht allzu schwer, einen Test durchzuführen. Anstatt sich zu beklagen und komische Artikel zu schreiben, sollte Herr Walach lieber einmal die Ärmel hochkrempeln.
Das haben andere schon gemacht. In den sogenannten GERAC-Studien hat man endlich X mit Y verglichen und es zeigte sich: Bei chronischen Rückenschmerzen hat Akupunktur (Response-Rate 47.6%) gegenüber Sham-Akupunktur (44.2%) tatsächlich keine Vorteile.
(Hier würde der klassische Forscher aufhören und sagen: Akupunktur zeigt keine Wirkung über den Plazebo-Effekt hinaus, also vergessen wirs.)
Aber die Studie war zum Glück nicht zwei- sondern dreiarmig.
Endergebnis: Akupunktur und Sham-Akupunktur unterscheiden sich zwar nicht, aber beide sind gegenüber konventioneller physio-&pharmakotherapie (27.4%) überlegen. Erstaunlich, nicht? Seitdem ist in Deutschland Akupunktur in der Kassenleistung inbegriffen.
Nein, erstaunlich finde ich das nicht. Ich kenne die GERAC-Studien zwar nicht, aber so wie du den Fall beschrieben hast, sollte man sowohl Akupunktur als auch Sham-Akupunktur vergüten – gegen chronische Rückenschmerzen. Ich unterstelle Herrn Walach und Co allerdings, dass sie sich weiterhin auf Energieflüsse und Meridiane berufen und dadurch die Leute verwirren.
Hand aufs Herz, lieber Florian. Du findest es wirklich NICHT erstaunlich, dass Hokuspokus fast doppelt so viel Pre-Post-Wirksamkeit bringen kann, wie Pharma&Physio? Hättest du sowas denn erwartet?
Also ich find es SEHR erstaunlich und es erschüttert mein Vertrauen in den Sinn der wissenschaftlichen Methodik, wenn wissenschaftlich gesehen das weniger heilsame Verfahren empfohlen werden müsste.
Es geht wie so oft um das Dilemma zwischen Wahrheit und Glück/Heil. Wenn das Unwahre heilsamer ist, als das Wahre, worin liegt dann unsere Verantwortung? Als Wissenschaftler suchen wir das Wahre. Als Patient das Heilsame. Was soll nun ein Arzt machen? Ist er Diener der Wahrheit oder des Patienten?
Was hat das mit der wissenschaftlichen Methodik zu tun? Es geht darum eine Frage/Hypothese ehrlich zu überprüfen. Welches die richtige Frage ist, hat mit gesundem Menschenverstand zu tun, nicht mit Methodik.
Gerade chronische Rückenschmerzen haben wohl mehr als eine einzelne Ursache. Dass es da nicht die eine wirksame Pille/Turnübung gibt, kann doch nicht erstaunen. In vielen Fällen enstehen diese Schmerzen wohl im Kopf und werden demnach auch am besten auch dort bekämpft – mit Brimborium/“Hokuspokus“. Trotzdem möchte ich mich nicht von jemandem Behandeln lassen, der mich und sich selber leichtfertig täuscht. Genau darum wünsche ich mir ja, dass die Mediziner, welche die Wahrheit lieben, sich ein bisschen mehr Mühe geben, das Wissen über Placebo und Nocebo in ihren Alltag zu integrieren. Das geht auch ohne sich verbiegen zu müssen.
Na, die Methodik entscheided darüber ob ein Verfahren zugelassen wird. (siehe Beispiel GERAC-Studien)
A) Methode „Goldstandard“: Vergleich X-Verum mit X-Plazebo.
-> Führt dazu, dass Akupunktur nicht zugelassen wird.
B) Methode „Wallach“: Vergleich X-Verum mit X-Plazebo mit PP.
-> Führt dazu, dass Akupunktur und Sham-Akupunktur zugelassen wird. Und eigentlich sollte PP seine Zulassung verlieren, wenns so schlecht abschneidet, aber dummerweise ist der Unterschied zwischen PP-Verum und PP-Plazebo signifikant. Oder sollte man Methode „Goldstandard“ überdenken?
Zur Bewertung der GERAC-Studien zur Akupunktur (http://www.gerac.de) müsste man vielleich diese beiden Artikel noch miteinbeziehen:
Kommentar von Wenzel 2005
http://dx.doi.org/10.1055/s-2005-870855
„Der Aufbau der Studie hält wissenschaftlichen Kriterien sicherlich nicht stand.“
Systematische Übersichtsstudie von Hróbjartsson & Gøtzsche 2004
http://dx.doi.org/10.1111/j.1365-2796.2004.01355.x
„We found no evidence of a generally large effect of placebo interventions. A possible small effect on patient-reported continuous outcomes, especially pain, could not be clearly distinguished from bias.“