Als einer von drei Menschen, die regelmässig unter Fieberbläschen leiden, bin ich natürlich sofort auf den Artikel in der Sonntagszeitung aufmerksam geworden. Ein alter Wirkstoff wurde neu gegen das Herpes Simplex Virus eingesetzt. Ein Gel wurde vorbeugend zwei Mal pro Tag auf die Lippen aufgetragen – während sechs Monaten. Bei 33 Freiwilligen hatte es einen durchschlagenden Erfolg. Die Behandlung senkte die Herpes-Ausbrüche von elf auf zwei in einem Jahr – beim mittleren Patient (Median). Schön!
Was mich beim Artikel der Sonntagszeitung stutzig machte, war, dass der Erfolg bei den 15 Freiwilligen, die ein Gel ohne Wirkstoff erhielten, grösser war, als bei den 18, die eines mit Wirkstoff erhielten. Das Gel wirkt nicht nur ohne Wirkstoff, nein, der Wirkstoff scheint die Wunderwirkung des Gels sogar zu schmälern!?
Die Autoren der Studie, haben tatsächlich einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der Wirkstoff-Gruppe und der Placebo-Gruppe festgestellt. Wenn man aber schaut, dass bei der zufälligen Zuteilung der Freiwilligen in die Gruppen bereits ein beträchtlicher Unterschied in der der Anzahl Ausbrüche entstanden ist, kann man davon ausgehen, dass der Wirkstoff schlicht viel zu wenig Wirkung zeigte. Die Autoren ziehen folglich auch keine Schlüsse aus dieser Entdeckung. Trotzdem: Das Gel bleibt erstaunlich.
Das Gel wirkt ohne Wirkstoff
Die Studie ist auch sonst bemerkenswert – im positiven Sinne:
Sie wurde vorregistriert.
Das sollte zwar schon lange Standard sein, ist in der Schweiz aber erst ab 2014 gesetzlich vorgeschrieben.
Ein negatives Resultat wurde publiziert.
Das muss zwar wieder etwas relativiert werden, weil das Gel ja wirkt und sich als sicher herausstellte. Die Firma muss ihre Investitionen trotzdem nicht abschreiben.
Sie beschreibt den Versuch detailliert.
Das sollte zwar selbstverständlich sein, ist es aber ebenfalls nicht, wie Ben Goldacre in seinen Büchern Bad Science und Bad Pharma eindrücklich beschreibt.
Negativ anzumerken ist hingegen:
Es dauerte zwei Jahre von Studienende bis zur Publikation.
Da muss man sich fragen, ob die Firma nicht doch etwas gezögert hat, ob sie die negativen Ergebnisse nicht doch in der Schublade verschwinden lassen möchte. Das wird in der Schweiz auch weiterhin gesetzlich erlaubt sein.
Der Wirkstoff wurde nicht mit dem besten alternativen Wirkstoff verglichen, sondern mit einem Placebo.
Das führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg, sagt aber wenig aus über den praktischen Nutzen für die Patienten. Hat die zuständige Ethikkomission denn nicht interveniert? Fairerweise muss man allerdings bemerken, dass das Gel vorbeugend zum Einsatz kam. Die gängigen bekannten Wirkstoffe werden erst bei Ausbruch angewandt. Trotzdem hätte man Grösse der Blasen und Schmerzen vergleichen können.