Auf den ersten Blick hielt das Programm des gestrigen Cafés eine Überraschung bereit: Unter den Referenten befand sich nebst einem Sport- und Ernährungsmediziner und einer Ernährungswissenschaftlerin auch eine Archäologin. Was bitte kann eine Archäologin zum Thema gesunde und ausgewogene Ernährung beitragen?, mag sich der eine oder andere Zuhörer gefragt haben.
Stefanie Jacomet, besagte Archäologin, räumte derlei Fragen rasch aus dem Raum. Sie ist genau gesagt Archäobotanikerin an der Universität Basel und somit an den Forschungszweig der Archäobiologie angegliedert. Diese wiederum beschäftigt sich mit pflanzlichen Überresten, die in mühsamer Kleinarbeit im Labor aus Bodenproben extrahiert werden. Die Überreste, die man findet, sind bis zu 10’000 Jahre alt, was in etwa mit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht zusammenfällt, wie Jacomet erklärte. Die damals einsetzende Sesshaftigkeit der Menschen führte dazu, dass sich mehr Abfall an einem Ort ansammelte, und für diesen Abfall interessiert sich Jacomet: „Wir wühlen also im Müll“, kommentierte sie ihre Arbeit trocken. Dieser Müll ist insofern interessant, als er Rückschlüsse zulässt auf die Art und Weise, wie sich die Menschen in früheren Zeiten ernährt haben: „Die Rekonstruktion funktioniert induktiv, das Ganze ist ziemlich kriminalistisch“, so Jacomets bildhafte Schilderung.
Früher war vieles besser
Und damit war sie auch schon mittendrin im Thema des gestrigen Wissenschaftscafés, das sich der Frage widmete, welche Ernährung für den Menschen ideal ist und wie sie sich auf unsere physische und psychische Konstitution auswirken kann. Jacomets Blick galt der Vergangenheit, und sie hatte Interessantes zu berichten. Vor 15’000 Jahren verfügten die Menschen über ein gewaltiges Wissen über sämtliche Pflanzen, Kräuter und Tiere in ihrer Umgebung. Entsprechend vielfältig und gesund war ihre Ernährung. Ob Nahrung allerdings im Übermass oder eher knapp vorhanden war, lässt sich laut Jacomet nur schwierig sagen.
Eine Zäsur in dieser Entwicklung verortete Jacomet in der Zeit um 9000 Jahre v. Chr. Denn die zunehmende Sesshaftigkeit der Menschen hatte auch eine einseitigere Ernährung zur Folge. Der Fokus lag fortan auf verschiedenen Getreidesorten und der Domestizierung von Tieren. Die Menschen machten sich zunehmend abhängig von Grundnahrungsmitteln auf Kosten der Nahrungsvielfalt und des Wissens über Rohstoffe. Die Folgen dieses Prozesses zeigen sich noch heute, denn die meisten Menschen der westlichen Welt wissen kaum mehr Bescheid über Pflanzen und Kräuter, Wurzeln und Beeren, die ihnen die Natur als Nahrungsalternative bereithielte.
Die goldene Formel gesunder Ernährung
Nun wurde es Zeit für einen Blick auf die Gegenwart, und da kam der Ernährungs- und Sportmediziner Arno Schmidt-Trucksäss ins Spiel. Sein Vortrag hatte zwei Schwerpunkte: Die ideale Balance zwischen Ernährung und Bewegung sowie die Frage, welche Nahrung man zu sich nehmen muss, um besonders leistungsfähig zu sein. Den ersten Punkt leitete Schmidt-Trucksäss mit der Bemerkung ein, dass die Schweizer Bürgerinnen und Bürger in den letzten 20 Jahren zwar gleich viele Kilokalorien zu sich nähmen trotz gewachsenen Warenangebots. Gleichzeitig bewegten sich die Menschen aber weniger, was die Zunahme an Adipositas-Fällen erkläre. Allzu schwarz wollte der passionierte Langstreckenläufer Schmidt-Trucksäss aber nicht malen, denn immerhin „hat sich die Zunahme der Fälle mittlerweile etwas gebremst“. Entscheidend sei, was im Kindesalter passiere, denn „ein übergewichtiges Kind hat es später wesentlich schwerer, ein Normalgewicht zu erreichen und zu halten“.
Hinzu kommen die Tücken der Diäten: Nimmt der Körperfettanteil während einer Magerkur ab, so tun dies auch die Muskeln. Wenn man danach aber wieder zunimmt, legt der Körper überproportional viel Fettgewebe im Vergleich zum Muskelgewebe an, erklärte Schmidt-Trucksäss. Man kennt das unter dem Namen „Jojo-Effekt“. „Bewegung ist deshalb während und nach einer Diät sehr wichtig, um die Körperbilanz zu erhalten. Das gilt insbesondere für ältere Menschen.“
Zu seinem zweiten Punkt meinte Schmidt-Trucksäss, dass die Art der Nahrung für sportliche Leistungen eher unwichtig sei. Ist die alte Leier von der Pasta vor dem Wettkampf ein reiner Mythos? Schmidt-Trucksäss würde vermutlich zustimmen. Entscheidend sei, dass man genügend Proteine und Kohlenhydrate zu sich nehme, da eine Unterversorgung für Sportler sehr ungünstig sei. Mit welcher Nahrung diese Stoffe in den Körper gelangen, sei hingegen zweitrangig.
Moderator Christoph Keller schob eine Frage nach, nämlich: „Was müssen wir essen, um möglichst alt zu werden?“ Schmidt-Trucksäss’ Antwort war simpel: „Ein ganzes Leben lang schlank bleiben bei ausgewogener Ernährung.“ Letztere drückte er in Zahlen aus: „40% Kohlenhydrate, 15% Proteine, der Rest ist Fett.“
Qualität und Quantität
Die dritte Referentin im Bunde hiess Undine Lehmann. Sie arbeitet als Ernährungswissenschaftlerin beim Nestlé Research Center in Lausanne. Ihren Beitrag leitete sie mit dem Nestlé-Slogan „Good food, good life“ ein und strich die Bedeutung der Ernährung für die Gesundheit heraus. Davon ausgehend formulierte sie die Kernfrage der Ernährungsforschung: „Was soll man essen, um gesund zu bleiben?“ Dieser Frage widmete sie sich daraufhin auf verschiedenen Ebenen.
Einerseits sei es wichtig, eine geeignete Diät zu finden, denn dadurch steige die Lebenserwartung. Man soll dabei aber nicht hungern, sondern sich vor allem mit viel Obst, Gemüse und Vollkorn ernähren. Dabei sei jeweils das Mass entscheidend. Lehmann hielt zur Illustration einen Apfel in die Höhe und sagte: „Nur Äpfel zu essen bringt auch nichts. Denn nicht nur die Qualität ist wichtig, sondern auch die Quantität.“ Auch die Ernährungswissenschaftlerin betonte also die Bedeutung ausgewogener Ernährung. Zudem sei der Zeitpunkt entscheidend: „Vor allem ein reichhaltiges Frühstück ist sehr wichtig, um leistungsfähig zu sein. Ein grosses Mittagessen führt dagegen eher zu einem Leistungstief.“
Letztlich hänge es aber auch von verschiedenen genetischen Vorbedingungen ab, wie bestimmte Lebensmittel bei Menschen wirken. In diesem Bereich – der Anpassung der Ernährung auf die genetische Konstitution – wird laut Lehmann derzeit viel geforscht. Sie stimmte aber Schmidt-Trucksäss’ grundsätzlicher Einschätzung zu, dass nebst ausgewogener Ernährung insbesondere viel Bewegung und ein gesunder Schlaf zur Gesundheit beitragen.
Latente Kritik an der Lebensmittelindustrie
Dass die Zuhörerinnen und Zuhörer in der folgenden Diskussion eine gewisse Skepsis der Lebensmittelindustrie gegenüber an den Tag legten, war wenig überraschend. Die Fragen waren gleichwohl spannend. In Bezug auf die von Nestlé hergestellten Leistungsoptimierer wurde gefragt, ob denn die Nahrungsoptimierung ein Grundbedürfnis des Menschen sei. Mit Blick auf die Vergangenheit konnte die Archäologin Stefanie Jacomet festhalten, dass der Effizienzgedanke bei der Nahrungsaufnahme früher nicht so ausgeprägt gewesen sei. „Man hat geschaut, wie man über die Runden kommt. Das Wissen über gute Ernährung war instinktiv vorhanden, nicht so analytisch wie heute“, so die einleuchtende Erklärung. Arno Schmidt-Trucksäss ergänzte, dass viele Menschen heute von der Werbe- und Lebensmittelindustrie verunsichert und deshalb in ihren Konsumentscheidungen beeinflusst würden. Diese Bemerkung nahm Undine Lehmann zum Anlass, für die Lebensmittelindustrie eine Lanze zu brechen: „Das Ziel von Nestlé und anderen Firmen besteht darin, Produkte zu entwickeln, die gesund sind, gut schmecken und die vor allem nachgefragt werden“, stellte sie klar. Sie hinterfragte somit die Annahme, dass das Angebot der Lebensmittelindustrie vor der Nachfrage der Konsumenten käme.
Eine Dame aus dem Publikum konterte mit der Frage, wozu man Energieverlängerer brauche, wenn man an Energielöcher wie das berühmte 11Uhr-Loch schon gewöhnt sei? Lehmann gab zur Antwort, dass diese Präparate einerseits angeboten würden, um einem ungesunden Energieabfall vorzugreifen. Andererseits seien sie so konzipiert, dass der Blutzuckerspiegel eben nicht schlagartig ansteigt, wie das beispielsweise beim Verzehr eines Würfelzuckers der Fall wäre. Schmidt-Trucksäss hielt ihr wiederum entgegen, dass Schwankungen des Blutzuckerspiegels auch natürlich durch ausreichenden Schlaf und gute Ernährung verhindert werden könnten. „Dazu braucht es keine künstlichen Produkte“, meinte er.
Zu alldem passte das Statement eines Zuhörers, das geschickt Schmidt-Trucksäss’ Argument aufgriff und dennoch Undine Lehmanns Arbeit etwas in Schutz nahm: „Die Verantwortung darf nicht immer an die Lebensmittelindustrie abgeschoben werden, denn die Verantwortung liegt vor allem auch bei uns selber.“ Kopfnicken im Publikum.
Dieser Artikel wurde von der Universität Basel in Auftrag gegeben und bezahlt.