Im März 1952 rief der Mathematiker Alan Turing die Polizei von Manchester, um einen Diebstahl zu melden. Das hätte er besser bleiben lassen, denn die Geschehnisse nahmen einen unerwarteten Lauf. Wenig später fand sich Turing vor Gericht wieder, vor eine Entscheidung gestellt, die sein Leben grundlegend verändern sollte: Ein Jahr ins Gefängnis oder zum Versuchskaninchen werden.
Wie war Turing in diese Lage geraten? Alan Turing war ein Kriegsheld, allerdings wusste das fast niemand. Der Engländer hatte an einem der verborgensten Projekte des Zweiten Weltkriegs gearbeitet. Turing hatte den Auftrag erhalten, die Chiffrier-Maschine der Nazis zu entschlüsseln – die Enigma – und schaffte dies tatsächlich im März 1943. Dieses Meisterstück war kriegsentscheidend, denn nun kannten die Engländer die Positionen und Angriffspläne der deutschen U-Boote, die bis zu diesem Zeitpunkt massenweise englische Fracht- und Kriegsschiffe versenkt hatten. Historiker sind sich einig: Hätten die Briten die deutschen Codes nicht geknackt, der Krieg hätte noch einiges länger gedauert. So aber drehte ab dem Frühjahr 1943 der Wind, die Engländer hatten Turings Trumpf in der Hand, Hitler verlor die Schlacht im Atlantik.
Absolutes Stillschweigen
Nach dem Krieg zeigte die englische Regierung allerdings kein Interesse, die Entschlüsselung durch Turing publik zu machen. Alle am Projekt beteiligten Personen hatten absolutes Stillschweigen einzuhalten. Immerhin erhielt Turing ein Jahr nach Kriegsende den «Order of the British Empire», der Grund dafür blieb aber verschwommen. Erst im Jahre 1974 erschien das Buch «The Ultra Secret», das die damaligen Ereignisse rekonstruierte. Turing war zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Jahre tot.
Turing war aber nicht nur ein verkannter Kriegsheld, er war auch einer der Väter der künstlichen Intelligenz. Seine Hypothese bestand darin, dass das menschliche Gehirn eine Art Computer darstellt. Bei der Geburt ist das Gehirn noch eine «unorganisierte Maschine», die erst durch Training zu einer universellen Maschine oder etwas Ähnlichem wird. Seine Ideen haben entscheidend zum Bau der ersten Computer beigetragen. Noch heute kennen Wissenschaftler den Turing-Test: Ein Test, um zu erkennen, ob ein Computer wirklich denken kann.
Doch all sein Genie nützte ihm wenig, als er im März 1952 die Polizei anrief, um einen Diebstahl zu melden. Im Laufe der polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass Turing den Dieb kannte: Es war ein 19-jähriger Strichjunge mit krimineller Vergangenheit, den Turing bei sich zu Hause aufgenommen hatte. Die Polizei interessierte sich nun immer weniger für die gestohlenen Gegenstände und immer mehr für Turings homosexuelle Vorlieben. Zu dieser Zeit war Homosexualität in vielen Ländern strafbar, auch in England. Das englische Gesetz bezeichnete dies als «grobe Unanständigkeit». Turing schien sich darüber jedoch keine Gedanken zu machen und hat wohl den schwulen Hintergrund der Affäre gegenüber der Polizei ausgeplaudert.
So fand sich Turing vor Gericht wieder. Angeklagt wegen «grober Unzucht und sexueller Perversion». Der als wortkarg und kauzig geltende Turing verzichtete darauf, sich vor Gericht zu verteidigen. Er war der Meinung, nichts Unrechtes getan zu haben. Das Gericht teilte seine Meinung nicht und stellte ihn vor eine Entscheidung: Ein Jahr Gefängnis oder eine Behandlung mit dem weiblichen Geschlechtshormon Östrogen, um «von seiner Krankheit geheilt zu werden». Turing entschied sich gegen das Gefängnis.
Im April 1952 schrieb er an seinen Freund Philip Hall: «Ich muss während eines Jahres diese Organo-Therapie machen. Angeblich soll dadurch der sexuelle Drang reduziert werden, aber man soll wieder normal sein nach der Behandlung. Ich hoffe, sie haben recht. Die Psychiater dachten offenbar, es sei sinnlos, irgendeine Psychotherapie mit mir zu versuchen».
Die Östrogenbehandlung zur Heilung von Homosexualität war damals experimentell, erst an wenigen Personen getestet worden. Turing wurde zu einem menschlichen Versuchskaninchen. Die Behandlung war mit schweren Nebenwirkungen verbunden. Turing wurde impotent, es begannen ihm Brüste zu wachsen. Das ganze Prozedere war eine Art chemische Kastration.
«Not amused»
Ein mit Brüsten ausgestatteter Mathematiker, darüber war die britische Regierung «not amused». Turing galt nun als mögliches Sicherheitsleck, er verlor den Zugang zu geheimen Dokumenten. Und auch privat ging es in der Folge bergab: Während der Behandlungsphase verliess Turing sein Haus nur noch selten. Er wurde depressiv.
Am 8. Juni 1954 fand die Putzfrau Turing tot auf dem Boden liegend, neben ihm ein halb aufgegessener Apfel. Er war keine 42 Jahre alt geworden. Die Obduktion ergab eine Zyankalivergiftung. Das Urteil der Gerichtsmedizin lautete auf Selbstmord während «die Ausgeglichenheit des Geistes gestört war». Turing hatte – so vermuten manche – Zyankali in einen Apfel gespritzt und ihn aufgegessen – wie im Film «Schneewitchen und die sieben Zwerge», den Turing einige Jahre zuvor im Kino gesehen hatte und der ihn fasziniert hatte. Und wie heisst es da so traurig schön: «Tauch den Apfel ins Gebräu, lass den schlafenden Tod einziehen». Die Theorie des vergifteten Apfels ist jedoch umstritten. Seine Mutter meinte, ihr Sohn habe das Gift unabsichtlich eingenommen, während eines Chemieexperiments.
Späte Entschuldigung
Im Jahre 2009, 55 Jahre nach Alan Turings Tod, entschuldigte sich der englische Premierminister Gordon Brown öffentlich für das Vorgehen der britischen Regierung. Tausende von Menschen hatten den Premier in einer Petition dazu aufgefordert. Brown erklärte, Turing habe mitgeholfen, dass die Konzentrationslager und die Gaskammern zu Europas Vergangenheit gehören und nicht zur Gegenwart. Und weiter: «Im Namen der britischen Regierung und all jener, die dank Alan Turings Arbeit in Freiheit leben, bin ich stolz zu sagen: Es tut uns leid, und Du hättest Besseres verdient gehabt.»
Recherchen zu Kurzgeschichten mit finanzieller Unterstützung durch den Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus SKWJ
Quellen:
– Um den Weltruhm geprellt, Weltwoche, 22. 7. 2004
– http://www.turingarchive.org/
Schöne Geschichte. Zur frage des apple-logos findet sich folgender Hinweis: offensichtlich eine Urban Legend
http://urbanlegends.about.com/b/2012/06/23/the-legend-of-the-apple-logo.htm
Ich verstehe immer noch nicht, weshalb sein Projekt nach dem Krieg geheim blieb. Ich nehme an die Technik war bereits nach 2, 3 Jahren veraltet. Oder täusche ich mich da?
Lieber Mathis, ja, sieht ganz so aus, als ob da eher Isaac Newton oder Steve Jobs Lust auf Äpfel als Alan Turing dahintersteckt… Habe das gelöscht.
http://en.wikipedia.org/wiki/Apple_Inc.#Logo