Die bekannte Sterndeuterin Elizabeth Teissier hat schon manchen Sturm vorhergesehen, etwa den Fall der Berliner Mauer oder den Crash der Börsen im Jahre 1987. Aber der Entrüstungssturm über ihren Doktortitel traf sie überraschend.
Teissier hat schon viel erlebt. Die Tochter eines Schweizers und waschechte Eidgenossin hat zunächst Medizin studiert, wechselte aber nach einem Jahr das Fach und studierte Literatur und französische Philosophie. Sie begann zu schauspielern, unter anderem in Filmen mit Jean-Paul Belmondo, und modelte für das Modelabel «Chanel». Später wandte sie sich den Sternen zu, schrieb mehrere Bücher über Astrologie und wurde die erste bekannte TV-Astrologin Europas.
In der Schweiz ist sie vor allem wegen ihres Jahreshoroskops bekannt, das jeweils in der Schweizer Illustrierten erscheint und die Auflage des Hefts markant steigert. Angeblich soll sie gar François Mitterrand astrologisch beraten haben («Während des ersten Golf-Krieges musste ich ihn mehrmals am Tag beraten, er wollte wissen, wie das Sternbild von Bush und Saddam standen»).
Als sei dies alles nicht genug der Arbeit, schrieb sich Teissier Anfang der 90er-Jahre auch noch an der Sorbonne ein und begann eine Doktorarbeit. Teissier arbeitete acht Jahre an dem Werk, auf über 900 Seiten wuchs es an. Titel der Arbeit «Situation epistemologique de l’astrologie à travers l’ambivalence fascination/rejet dans les societes post-modernes». Astrologie als wissenschaftliches Fach? Kein Wunder wirbelte diese Doktorarbeit viel Staub auf – und zwar zum ersten Mal bei der Verteidigung der Doktorarbeit.
«Wir sind hier nicht im Theater.»
Wie jede andere Doktorandin auch musste Teissier zur Erlangung ihrer akademischen Würde vor einer Jury ihre Arbeit verteidigen. Etwa 250 Gäste, vornehmlich vornehme Teissier-Groupies im höheren Alter folgten der Einladung der Sterndeuterin und quetschten sich auf die harten Holzbänke im Vorlesungssaal. Eine in Chanel gekleidete Teissier schlug sich wacker vor der Jury und ihre Ausführungen wurden durch die adretten Damen auf den Holzbänken teils von derart starkem Beifall gekrönt, dass sich der Präsident der Prüfungskommission, Professor Serge Moscovici, gezwungen sah, zur Ordnung aufzurufen: «Wir sind hier nicht im Theater».
Das Ganze entwickelte sich aber zu einem Theater erster Güte. Denn neben den entzückten Astro-Groupies sassen im Saal auch einige Gelehrte mit finsteren Mienen – vor allem Astrophysiker und Astronomen, die Sternkunde als Wissenschaft sehen. Sie waren von Teissiers Doktorarbeit ganz und gar nicht angetan und wollten Himmel und Hölle in Bewegung setzen wollten, um der Sterndeuterin das Handwerk zu legen. Für sie war es ein Hohn, dass eine Arbeit, die sich mehr oder weniger kritiklos mit der Astrologie auseinandersetzt, auch noch wissenschaftliche Weihen erhalten sollte. Sie hatten gelesen, was Teissier auf ihrer eigenen Webseite geschrieben hatte unter der Rubrik «Mein Traum»: «Der Astrologie ihre Würde wiederzugeben, die königliche Kunst der Sterndeutung als Lehrstuhl an der Sorbonne und allen grossen Universitäten etablieren – dafür kämpfe ich.»
Das Problem war, dass die Sterndeuterin in ihrer Doktorarbeit die Astrologie mit einer verifizierbaren Wissenschaft verglich, von «unwiderlegbaren Beweisen zugunsten eines planetarischen Einflusses» schrieb oder davon, dass die astrologischen Theorien als wissenschaftlich anerkannt werden müssten, da sie «durch Beobachtung und statistische Verfahren falsifizierbar» seien.
Besonders heikel wurde es, wenn Teissier erklärt, dass Krankheiten durch falsche Planetenkonstellationen ausgelöst werden: «Kürzliche Untersuchungen haben uns erlaubt, eine Beziehung zwischen Krebs und sogar Aids und den Dissonanzen dieser zwei Planeten (Neptun und Pluto) herzustellen, sofern die Geburtskonstellation berücksichtigt wird» schrieb sie in ihrer Doktorarbeit. Die Absicht, die Teissier mit ihrer Arbeit verfolgte, lag auf der Hand und es benötigte keine Handauflegerin, um sie zu deuten: Sie wollte der Astrologie ein wissenschaftliches Mäntelchen umlegen und eine Professur für Astrologie an der Sorbonne einrichten.
Die Kritiker waren gekommen, um öffentlich kundzutun, was sie von Teissiers Doktorarbeit hielten. Etwa Sven Ortoli, Chefredaktor einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Er erhob sich während der Anhörung und erklärte: «Ich kann nicht bleiben, wir sind heute Zeugen eines Scherzes. Der König hat keine Kleider.» Auch andere Personen verliessen empört den Saal, die Türen schletzend. Bereits am Abend zuvor hatte der Astrophysiker Jean Audouze gefordert, den ganzen Anlass abzublasen.
Aber aller Aufstand war vergebens. Unter dem Applaus ihrer Groupies und unter Tränen erhielt Teissier ihren Doktortitel mit der zweitbesten Note «trés honorable». Teissier war entzückt: «Nach 350 Jahren ist die Astrologie in die Sorbonne zurückgekehrt. Wie schön.» Mit dieser Prophezeihung lag Teissier allerdings falsch, denn die Sorbonne machte keinerlei Anstalten, einen Lehrstuhl für Astrologie einzurichten.
Der Doktorvater als törichte Tochter von «Madame Soleil»
Die grosse französische Zeitung Le Monde handelte Teissiers Doktor(un?)würden in der Folge auf der Frontseite ab. Die Arbeit halte keinerlei wissenschaftlichen Kriterien stand und sei eine persönliche Arbeit über die Astrologie, aber keine Arbeit aus dem Fachbereich Soziologie. Voltaire wurde zitiert, der einst erklärt hatte: «‹Der Aberglaube ist für die Religion, was die Astrologie für die Astronomie ist – eine sehr törichte Tochter einer sehr weisen Mutter.› Man weiss von nun, dass der Maffesolimus die ‹sehr törichte Tocher› der Madame Soleil ist.»
Mit Maffesolimus waren die Forschungen von Professor Maffesoli gemeint, Teissiers Doktorvater, der sich bereits in der Vergangenheit mit seiner zum Teil sehr grosszügigen Auslegung der Grenzen der Soziologie hervorgetan hatte. Viele Kritiker machten Maffesoli für den Skandal verantwortlich, weil er eine solche Doktorarbeit überhaupt erst ermöglicht habe.
Die Arbeit wurde nicht nur in Le Monde, sondern auch von anderen Kritikern genüsslich zerlegt. Denn schon in den ersten Zeilen der Doktorarbeit beginnen die Widersprüche. So zitiert Teissier Albert Einstein, der angeblich die Verdienste der Astrologie gewürdigt haben soll. Allerdings, so haben Nachforschungen ergeben, hat Einstein dies nie so gesagt.
Nobelpreisträger vs. Teissier
Wenig später begannen die Soziologen Unterschriften zu sammeln. Sie fürchteten um den Ruf ihres Fachs, das sich noch kaum von der Peinlichkeit des Falls Alan Sokal erholt hatte. Sokal hatte einige Jahre zuvor einen wissenschaftlichen Artikel verfasst, ein Text gespickt mit Soziologen-Jargon, aber mit völlig unsinnigem Inhalt. Sokal hatte es tatsächlich geschafft, diesen Text einem renommierten Soziologie-Journal unterzujubeln. Kurz nach der Veröffentlichung hatte Sokal seine List erklärt und die Welt lachte über die Soziologen. Zuerst Sokal und dann Teissier? Diese Schmach wollten sich die Soziologen ersparen.
Über 400 Soziologen unterschrieben eine Petition, die forderte, die Sorbonne solle ihre Entscheidung nochmals überdenken und die Doktorarbeit durch eine unabhängige Jury überprüfen lassen. Auch vier Nobelpreisträger unterschrieben die Petition.
In der Folge wurde ein Wissenschaftsrat mit Mitgliedern aus verschiedenen Fachrichtungen gegründet – Astrophysiker, Soziologen, Philosophen, die die Arbeit unter die Lupe nahmen. Ihr Urteil war wenig schmeichelhaft: Die Arbeit von Elizabeth Teissier erfülle keinerlei Anforderungen an eine «wissenschaftliche Ernsthaftigkeit» und könne höchstens als ein Plädoyer für die Astrologie betrachtet werden.
Auch die französischen Soziologie-Fachverbände waren mit der Arbeit unzufrieden und bezeichneten sie als eine «Nichtdissertation». Jean Bricmont von der Assocation Française pour l’information Scientifique (Afis) schrieb: «Methodik und Systematik sucht man hier ebenso vergebens wie eine objektivierende Distanz zu ihrem Gegenstand.» Andere hielten ihre Kritik simpler, etwa der Physiker Henri Broch, der in der Arbeit unzählige Rechtschreibefehler fand. Er riet Teissier, Schyzophrenie doch bitte in Zukunft nicht mehr mit Y zu schreiben.
Wider die ständige Wissenschaftshörigkeit
Einige Gelehrte eilten Teissier aber auch zu Hilfe und bezeichneten die Affäre als Hexenjagd. Teissiers Arbeit werde vor allem kritisiert, weil sie eine bekannte Astrologin sei und zudem eine attraktive und erfolgreiche Geschäftsfrau. Der bekannte Soziologe Alain Touraine etwa unterstützte Teissier und wetterte gegen die ständige Wissenschaftshörigkeit und das stete Vernunftsdenken.
Teissier selbst blieb ziemlich gelassen und konterte: «Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.» Die meisten ihrer Kritiker hätten die Arbeit ohnehin nicht gelesen – was ziemlich sicher stimmte (zur Erinnerung: die Arbeit umfasste mehr als 900 Seiten) und ergänzte: «Ich bin seit 30 Jahren an Häme gewohnt.» Auf ihrer Webseite schrieb sie von einem «völlig unerwarteten Sturm in den Medien», ihre Kritiker bezeichnete sie als eine Gruppe von fanatischen Wissenschaftlern bei denen es sich nicht einmal um Soziologen handelte, sondern um Astrophysiker oder Philosophen.
Durckheim vs. Weber
Was wie ein wissenschaftlicher Disput über eine strittige Doktorarbeit erscheint, hat eine tiefer liegende Komponente. Soziologen sind oft entweder Anhänger der Soziologiepioniere Emile Durckheim oder Max Weber. Durckheim war ein Verfechter von quantifizierbaren, objektiven Methoden und hätte wenig Freude an Teissiers Arbeit gehabt. Max Weber hingegen setzte mehr auf phänomenologische Aspekte, subjektive Erfahrungen und auch mal auf das Irrationale und Unlogische. Ein extremer Vertreter dieses Zweigs ist Michel Maffesoli, Teissiers Doktorvater. Er ist der Meinung, dass die Astrologie zwar keine verifizierbare Wissenschaft sei, trotzdem aber ein soziologisches Phänomen.
Noch Monate nach der umstrittenen Doktortitelvergabe von Elizabeth Teissier stritten Vertreter Durckheims und Webers darüber, ob eine solche Arbeit doktorwürdig sei. Einige Gelehrte allerdings meinten schlicht, es gehe hier nicht um Durckheim oder Weber, es gehe um eine gute oder schlechte Wissenschaft.
Recherchen zu Kurzgeschichten mit finanzieller Unterstützung durch den Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus SKWJ
Quellen:
– Le monde diplomatique, http://www.monde-diplomatique.fr/2001/08/BRICMONT/15464
– Der Spiegel, http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/astro-fee-elizabeth-teissier-die-doktorin-der-sterne-a-154774.html
– New York Times, http://www.nytimes.com/2001/06/02/arts/star-wars-is-astrology-sociology.html
[…] aufsehenerregenden Streit um ihre Doktorarbeit an der Sorbonne kann man ausführlich bei sciencesofa […]