Wir Wissenschaftsjournalisten liessen es uns gut gehen. Interpharma, der Verband der Schweizer Pharmafirmen, hat dem Schweizer Klub der Wissenschaftsjournalisten das alljährliches Gesundheitsseminar bezahlt – inklusive Verpflegung und Hotelzimmer. Ein Skandal? Verspielen wir so unsere Unabhängigkeit? Schaffen wir es trotz Seminar, schlechte Praktiken der Pharmafirmen offen zu legen? Man beisst schliesslich nicht die Hand, die einen füttert. Der Verein zur Abschaffung der Tierversuche sprach es in einem Inserat aus uns legte uns bissig folgendes in den Mund: „Als Wissenschaftsjournalist habe ich noch nie etwas Kritisches über Tierversuche geschrieben.
Unabhängigkeit ist für uns zweifellos sehr wichtig. Nur, ist unsere Unabhängigkeit wirklich durch gesponserte Veranstaltungen bedroht? Ja, zeigen zumindest Untersuchungen bei Ärzten, die sich in einer ähnlich schwierigen Beziehung zur Pharmaindustrie befinden. Aber, es ist die falsche Frage. Eine viel wichtigere Frage ist, ob wir überhaupt unabhängig sein können und wenn ja, wodurch unsere Unabhängigkeit am meisten bedroht ist.
Die grosszügig spendierten Redner und Annehmlichkeiten sind nicht primär dafür verantwortlich. Ob die Sponsoren nun Interpharma oder wie beim ebenfalls alljährlichen Frühlingsseminar Nationalfonds heissen, das Thema und die Liste der Redner wird durch die Wissenschaftsjournalisten bestimmt – ohne direkte Einflussnahme. Dadurch entstanden am Gesundheitsseminar sehr spannende Debatten und die Redner legten ihre Finger auf viele wunde Punkte des Pharma- und Journalismusgeschäfts. Gerade das letzte Gesundheitsseminar in Balsthal zur Revision der offiziellen Liste der psychischen Krankheiten (DSM) hatte mit dem Psychiater Allen Frances und Historiker Christopher Lane zwei offensive Pharmakritiker eingeladen. Dabei wurden zumindest mir viele Zusammenspiele und Probleme zwischen der Psychiatrie und Psychopharmaka erst richtig klar.
Abhängig wären wir idealerweise eigentlich nur von unseren Lesern, Zuhörern und Zuschauern sein. Diese zahlen aber wenig bis gar nichts für dieses wertvolle Gut. Die Leserzahlen und Einschaltquoten deuten sogar eher auf deren Wunsch nach Unterhaltung denn auf unabhängige und kritische Beleuchtung von Hintergründen.
Damit wir von Wirtschaft und Staat unabhängig berichten können, müssten die Medienunternehmen uns einen guten Lohn und eine sichere Zukunft garantieren. Das tun sie aber nicht, wie wir alle wissen (Siehe Blog-Beiträge von Beat Gerber 1, 2, 3, Rede von Beate Kittel, Stellenabbau Le Temps 2012 und Tagesanzeiger 2009, Beiträge dazu in Bulletin des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalisten 1/04 S. 1-5, 2/05 S 2-3, 3/06 S. 1-4, 1/11 S. 3-4, 2/12 S. 2-4). Ob sie dies je taten, kann ich nicht beurteilen. Kein Journalist verärgert jedenfalls gerne einen potentiellen Arbeit- oder Auftraggeber in der Industrie, Bildung oder Verwaltung. Für Öffentlichkeitsarbeit in deren Diensten sind wir jedenfalls bestens Qualifiziert. Ob seine Angst berechtigt ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Jedenfalls ist die Schweiz so klein und man läuft den Kritisierten immer wieder persönlich über den Weg. In irgendeiner Weise wird man auf ihr Wohlwollen angewiesen sein.
Veranstaltungen mit durch Sponsoring finanzierbaren guten Rednern sind gegenwärtig das Beste, was wir für unsere Weiterbildung tun können. Wer unsere Unabhängigkeit möchte, muss sie uns entsprechend finanzieren.