Ich ahnten es irgendwie schon: Bei Institutionen wie myclimate beschlich mich stets ein ungutes Gefühl. Sollte ich tatsächlich meine Umweltsünden per Ablass kompensieren? Ich konnte mein ungutes Gefühl nicht recht artikulieren. Jetzt aber geht’s – dank Michael Sandel. Der Harvard-Philosoph beschreibt in seinem neuen Buch «What Money Can’t Buy – The Moral Limits of Markets» sehr präzise, was in den letzten drei Jahrzehnten durch den überhandnehmenden Glauben an die Macht der Märkte geschehen ist.
Ob dies nun Organhandel, CO2-Ausstoss, Leihmutterschaft oder der Schutz von bedrohten Arten betrifft, überall sollte die Macht der Märkte durch Preise oder Anreize die Probleme lösen. Das taten sie aber nicht. Oft geschah genau das Gegenteil des Gewünschten. Sandel argumentiert brilliant, wenn er darauf hinweist, dass der Preis den nichtökonomischen Wert einer Sache korrumpiert. Wenn wir eine Busse für zu schnelles Fahren erhalten, dann ist das nicht der Preis für zu schnelles fahren, sondern immer noch etwas, was wir nicht tun sollten. Wenn ich aber meinen Flug nach Ghana mit myclimate kompensiere. So verändert es meine Sicht auf den CO2-Ausstoss. Es wird zu etwas, was ich durchaus tun kann, sofern ich eine entsprechende Gebühr verrichte. Ob ich dadurch mein Umweltverhalten ändere? Wohl eher im Gegenteil: Ich kann nun reinen Gewissens Verreisen.
Sandel zeigt auf, wo aus Bussen Gebühren werden, weshalb Anreize oft das Gegenteil bewirken und wo Ökonomen ihre Grenzen haben. Sandels Buch ist ein Stück Philosophie, das enorm viel mit unserem Alltag und der aktuellen weltpolitischen Lage zu tun hat. Ein wertvoller Kompass in verwirrlichen Zeiten.
Die Frage stellt sich, was wäre die Alternative zu marktwirtschaftlichen Lenkungsgebühren, um Umweltprobleme zu lösen? Lese gerade das Buch von Jorgen Randers, der vor vierzig Jahren «Die Grenzen des Wachstums» mitverfasst hat und nun vierzig Jahre in die Zukunft auf 2052 blickt. Eine seiner Thesen lautet, dass autoritäre Regimes besser als Demokratien in der Lage sind, auf Umweltprobleme wie Klimawandel zu reagieren. Und prophezeit China eine recht rosige Zukunft. Ist irgendwie auch nicht tröstlich…
Ja, was ist die Alternative zu Lenkunsabgaben/Steuern (und Bussen, die auch als eine Art Preisschild gelten können)? Der Philosophieprofessor Dominique Bourg von der Universität Lausanne versucht die Demokratie zu überdenken und dachte zum Beispiel an eine Art wissenschaftlichen Beirat für das Parlament. Ob der dann die richtigen Lösungen findet, oder wie das IPCC nur von allen Seiten angefeindet wird…?
http://sciencecomm.ch/index.php?option=com_kunena&func=view&catid=10&id=72&Itemid=2&lang=de#72
Political Correctness (PC) und Gutmenschentum treiben in unserer verwöhnten Gesellschaft wahre Blüten, da hat Mathis völlig Recht. Diese moralischen Nervensägen vernebeln auch das effektive Ausmass der erforderlichen Massnahmen, um die Umwelt und das Klima tatsächlich zu schützen. So werden in den Grenzbereichen von PR und Journalismus wie Reisen, Gastronomie, Weine etc. derart viele grüne Mäntelchen angezogen (z.B. „Green“ von Ringier), dass man geradezu Hitzewallungen bekommt (vor Empörung und ob der Scheinheiligkeit). Da fliege ich dann halt lieber (politisch unkorrekt) ohne myclimate, miete ein bequemes Auto und übernachte nicht vornehmlich in Alphütten. Aber ich setze mich politisch konsequent und beharrlich für die Kostenwahrheit im Umwelt- und Energiesektor ein. Das entlastet zwar weniger mein Gewissen, aber ich finde es letztlich wirksamer (und ehrlicher – Moral, Moral!). Eine aufschlussreiche Lektüre zum Glanz und Elend der PC bietet „In Anführungszeichen“ von Matthias Dusini und Thomas Edlinger (edition suhrkamp).
@Stefan @Florian: «marktwirtschaftliche» Lenkungsabgaben (in Anführungszeichen, weil ja eine Lenkungsabgabe immer schon ein Eingeständnis ist, dass der Markt einer Lenkung bedarf) oder Steuern: das ist eben nicht das selbe wie Myclimate-«Kompensationen». «Kompensationen» sind freiwillig, das ist der springende Punkt. Die Botschaft ist eine andere, wenn man sagt: Du darfst freiwillig Gutes tun und deinen Flug «kompensieren», als wenn es heißt: Aufgrund des Verursacherprinzips wird obligatorisch eine Abgabe / Steuer erhoben.
Übrigens: Ich mag es ja eigentlich nicht, wenn man die «Kompensationen» als Ablasshandel bezeichnet, das ist mir zu moralisch. Aber in einem Punkt passt die Metapher verblüffend gut: Das, was heute im Kioto-Protokoll «Clean Development Mechanism» heißt, geht auf eine Idee Brasiliens zurück. Brasilien wollte eine Strafe einführen für Staaten, die ihre Reduktionsverpflichtungen nicht einhalten. Man hat dann au der Strafe einen Preis gemacht; statt Buße tun zu müssen, kann man sich nun freikaufen (das wird die Schweiz ja auch tun). Und wie war das mit den Ablässen: Ursprünglich sollten das Bußen für Sünden sein, aber dann wurde eben ein normales Geschäft daraus.
@Marcel: «Ursprünglich sollten das Bußen für Sünden sein, aber dann wurde eben ein normales Geschäft daraus.» Genau darum geht es Sandel. Damit verändert sich unsere Sicht auf die CO2-Emmission. Sie ist nicht mehr etwas, was aus gesellschaftlicher Sicht wünschenswerter Weise zu vermeiden ist, sondern nur noch etwas, was halt mehr oder weniger teuer ist. Die Akzeptanz der Hummer-Fahrzeuge wird in diesem Szenario laufend steigen. Und: Etwas Ethik darf es in unserer Gesellschaft schon sein.