Am Tag der Parlamentseröffnung 1605 plante Guy Fawkes‘ das englische Parlament samt König in die Luft zu sprengen, um die Verfolgung von Katholiken in England zu rächen. Am Jahrestag des Attentats lehnten sich auch die Bewohner des englischen Dörfchens Wishaw gegen ihren Peiniger auf. In der Nacht auf den 6. November 2003 wurde der örtliche Mobilfunkmast niedergerissen.
Der Grund: In 18 Häusern im Umkreis von 500 Metern um den Mast traten 20 Krebsfälle auf – eine ungewöhnliche Häufung. Eine der Betroffenen – Eileen O’Connor – hatte Brustkrebs. Als sie während der Therapie im Spital ihre Nachbarn antraf, war der Fall für Sie klar: „It was then we started looking at the mobile phone mast and now we know for certain that it is responsible.“
Ob tatsächlich der Mobilfunkmast für die gesundheitlichen Probleme verantwortlich ist sicher eine relevante Frage (dazu: kurzer BBC-Statistiktext – Resultate des nationalen Forschungsprogramms – Zusammenfassung in 20 Miunten). Viel interessanter ist jedoch die Aussage von der Brustkrebspatientin O’Connor zum Effekt der Zerstörung des Mobilfunkmasts: „Straight away people started reporting that their headaches had stopped, the dizziness stopped, rashes cleared up.“
Alle die wie ich glauben, dass das nationale Forschungsprogramm gute und lautere Forschung betrieben hat und daher auch in Zukunft von der üblichen Mobilfunkstrahlung keine nennenswerten Schäden zu erwarten sind, werden in der Verbesserung des Gesundheitszustandes einen Plazeboeffekt sehen. Es wäre auch vorstellbar, dass vor dem Fällen des Mastes ein Nozeboeffekt das Krebsrisiko erhöhte. Interessanterweise sind es ja die Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und Ausschläge, die gelindert wurden und nicht die Krebsleiden.
Als Michael Blastland diese Geschichte am Frühlingsseminar des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalisten brachte und uns eindrücklich demonstrierte, wie Anhäufungen eben auch einfach zufälliges Pech sein können, erstaunte mich die Reaktion einiger Anwesenden. Grob zusammengefasst: „Ist es ethisch vertretbar, den Anwohnern die Überzeugung zu nehmen, dass es der Mobilfunkmast war und dadurch ihre psychische Stabilität zu gefährden?“ Hmmm… Übertragen auf ein anderes Plazebo-Thema könnte man folgende Frage mit ähnlicher Stossrichtung stellen: „Ist es böse, die Kunden der Homöopathie überzeugen zu wollen, dass homöopathische Medikamente (nicht Behandlungen!) wirkungslos sind, wenn dadurch der Plazebo-Effekt verloren gehen könnte?“
Der politische Umgang mit Plazebo und Nozebo wäre mal eine Frage für eine Ethikkommission. Ich sehe darin zwei Probleme: erstens, die wohlwollende Lüge. Darf ein Arzt wissentlich ein wirkungsloses Medikament verschreiben oder gar verkaufen, wenn es dem Patienten hilft? Zweitens die Missionierung. Darf ich als überzeugter Vernunftgläubiger versuchen, andere von meinem Glauben zu überzeugen, mit dem Risiko, dass sie psychisch und sozial instabiler werden?
In der politischen Plazebo/Nozebo-Diskussion geht oft vergessen, dass auch wirksame Medikamente und Therapien zusätzlich zu ihrer direkten Wirkung einen Plazeboeffekt haben, was den Gesamteffekt noch steigert. Und die Fokussierung auf den Mobilfunkmast in Wishaw könnte eventuelle andere, direkte Ursachen für die Häufung der Krebsfälle verschleiern. Wir sollten den Plazeboeffekt fördern und den Nozeboeffekt meiden, wo wir nur können, aber uns nicht von ihnen die Sicht auf direkte Wirkungen (oder Ursachen) vernebeln lassen. Das wäre wahrhaftig ganzheitliches Denken.
Etwas Plazebo-Klarheit schafft folgender Beitrag.
Die Diskussion etwas kürzer und kontroverser hier (inkl. Diskussion)
Und hier noch zwei Bücher zum Thema:
1. Plazebo: Die Vermessung des Glaubens, Ulrich Schnabel
Das erste Kapitel gibt einen schönen Überblick und auch den Rest des Buches ist brillante journalistische Arbeit.
2. Nozebo: Wer’s glaubt wird Krank, Magnus Meier
Ich habe es noch nicht gelesen, aber der Beitrag auf DRS 2 hat mein Interesse geweckt.
Ein spannendes Interview zur Macht des Glaubens mit Dr. Placebo Ted Kaptchuk im NZZ Folio:
http://www.nzzfolio.ch/www/21b625ad-36bc-48ea-b615-1c30cd0b472d/showarticle/c99b7d29-71ca-4aca-9b53-2aeb7666529d.aspx