Das Thema des zweiten Café Scientifique in diesem Semester passte gut in den Umkreis eines Cafés: Im Zentrum der Diskussionen stand der Wirkstoff Coffein, der – so die These – durch die gegenwärtige Blüte der Energy-Drinks und Nespresso-Maschinen zu einer wahren Lifestyle-Droge mutiert ist. Ein Blick auf die Beistelltische im Hörsaal des Pharmazie-Historischen Museums genügte, um sich der Relevanz der Thematik bewusst zu werden: Auf fast jedem Tisch befand sich mindestens eine Tasse Kaffee oder Tee.
Leben wir also in einer Kaffeekultur? Zumindest die Statistik scheint auf diese Frage eine klare Antwort zu liefern: Schweizer nehmen laut Pharmakologe Prof. Stephan Krähenbühl im Schnitt täglich 300 Milligramm Coffein zu sich, das entspricht etwa 2-3 Tassen Kaffee. Die Schweiz bewegt sich damit im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld, „vergleichbar mit dem Fc Basel“, wie es Krähenbühl veranschaulichte. Die Frage ist jedoch, ob es sich dabei um einen historisch einmaligen Zustand handelt, oder ob die Entstehung der Kaffeekultur nicht viel weiter zurückreicht. Zwei der geladenen Experten – der Botaniker Dr. Jürg Oetiker und Dr. Roman Rossfeld von der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Zürich – setzten sich deshalb in ihren Beiträgen explizit mit der Kulturgeschichte des Coffeins und des Kaffees auseinander, während sich Prof. Krähenbühl eher auf die Wirkung des Coffeins auf den Menschen konzentrierte.
Kulturgeschichte des Coffeins
Jürg Oetiker wies zu Beginn auf den unterschiedlichen Konsum von Coffein in verschiedenen Kulturen hin. Während sich in Asien insbesondere der Tee als täglicher Coffeinlieferant durchgesetzt hat, trinkt man in Lateinamerika vorwiegend Maté, ein Aufguss aus getrockneten Blättern, der dem Tee nicht unähnlich ist. Kaffee hat sich in seinen Anfängen vor allem in Arabien ausgebreitet.
Als Botaniker wusste Jürg Oetiker zu berichten, dass die Teepflanze ursprünglich aus Assam in Nordindien stammt. Ungefähr 2700 v. Chr. gelangte sie nach China, und erst dort verarbeitete man ihre Blätter zu Tee. Die Legende besagt, dass der damalige Kaiser von China eine Tasse Wasser im Freien getrunken habe, als plötzlich ein Teeblatt vom Wind zufällig in seine Tasse getragen wurde. In Wahrheit war Tee aber „bis circa 900 n.Chr. ein aus Blättern hergestellter Brei, erst später wurde er als Aufguss zubereitet“, wie Oetiker richtigstellte. Tee entwickelte sich zum chinesischen Nationalgetränk. Portugal war das erste europäische Land, das den Tee für sich entdeckte. Anschliessend setzte er sich aber bekanntermassen vor allem in England durch.
Kaffee dagegen stammt ursprünglich aus der Region Kaffa in Äthiopien. Ähnlich wie der Tee etablierte sich Kaffee aber nicht in seinem Ursprungsland. Im 12. Jahrhundert gelangte der Kaffee nach Jemen, „wo ihn die Araber kultivierten und schliesslich in der Welt verbreiteten“, so Oetiker.
Segen und Fluch des Kaffees
Populär wurde der Kaffee in Europa zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert. Dies lag laut Oetiker vor allem daran, dass Wasser immer abgekocht werden musste, damit es keimfrei war. Weil das Wasser dadurch sehr fad schmeckte, kamen die Menschen auf die Idee, gewisse Substanzen dazu zu mixen. Coffeinhaltige Stoffe waren besonders beliebt, weil sie gleichzeitig stimulierend wirkten. Dies erklärt den Siegeszug coffeinhaltiger Getränke, den Dr. Roman Rossfeld anschliessend entlang einer innereuropäischen Konsum- und Kulturgeschichte des Kaffees etwas genauer beschrieb.
Der tägliche Kaffeekonsum war bereits Ende des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. Rossfeld kannte auch den Grund dafür: Trank man zuvor üblicherweise schon morgens ein leichtes Bier zum Frühstück, um die Strapazen des Arbeitstages leichter überwinden zu können, setzte sich der Kaffee laut Rossfeld „aufgrund einer neuen Grundhaltung zur Arbeit gemäss der protestantischen Ethik“ als neues Wundermittel durch. Die Vorteile des Kaffees liegen auf der Hand: Er garantiert eine hohe Aufmerksamkeit und im Gegensatz zum Bier waren die Arbeiter nüchtern. Kaffee passte den Industrieherren ideal ins Konzept. Doch kein neues Produkt kommt ohne seine Kritiker aus, das war auch beim Kaffee nicht anders. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kritisierte beispielsweise Sebastian Kneipp – bekannt aus diversen Thermalbädern – den Kaffeekonsum scharf. In einer Schrift aus dem Jahre 1889 bezeichnete er den Kaffee als „Giftpflanze“ und „Menschenmörder“. So wurde erstmals der „Ruf nach Surrogaten, nach einem gesunden Kaffee-Ersatz“ laut, wie Rossfeld weiter ausführte.
Besonders problematisiert wurde das als gesundheitsschädigend eingestufte Coffein, obwohl diese schädlichen Wirkungen nie nachgewiesen werden konnten. Die Zweifel an der Substanz begründeten aber den Erfolg des coffeinfreien Kaffees HAG zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die medizinische Debatte um das Coffein verflachte, „weil schlichtweg niemand am Kaffeekonsum starb“, wollten sich die Menschen den Luxus des Bohnenkaffees wieder gönnen.
Trend zum schnellen und guten Kaffee
Ein nächstes Bedürfnis bestand in der Instantisierung des Kaffeekonsums. Wie Rossfeld verdeutlichte, waren „gerade die Soldaten an der Front darauf angewiesen, ihren Kaffee schnellstmöglich zubereiten zu können“. Nestlé feierte deshalb grosse Erfolge mit dem Nescafé. Die Kaffeekultur, so Rossfeld in seinem Fazit, besteht demnach schon lange, nur haben sich die Bedürfnisse und die Nutzungsweisen im Zusammenhang mit dem Konsum geändert. Diente Kaffee im 19. Jahrhundert dank seines hohen Coffeingehalts vorab zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeiter, setzte um die Jahrhundertwende ein Trend zur Entcoffeinierung ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs dann das Bedürfnis nach einer Instantisierung des Kaffeekonsums. Die neuste Entwicklung geht laut Rossfeld nun mit der Verbreitung der Nespresso-Kapseln einher. Denn Nespresso nährt die Nachfrage nach „Produkten, die bei der Zubereitung wenig zeitlichen Aufwand verlangen, aber hohe Qualität garantieren“, so Rossfeld. Unsere heutige Kaffeekultur ist somit zwar in ihrer Ausprägung historisch einmalig. Die weitreichende Verbreitung coffeinhaltiger Getränke reicht jedoch bis ins 19. Jahrhundert zurück, ist also keineswegs ein neuartiges Phänomen. Neu sind allerdings Energy-Drinks wie Red Bull, die eine „Brücke bauen, um Coffein auch an Kinder und Jugendliche verkaufen zu können“, so Rossfeld in der Plenumsdiskussion. Podiumsleiterin Odette Frey stellte die These auf, dass Red Bull als das „Coffeingetränk für Jugendliche“ angepriesen werde, die sich dadurch von der Elterngeneration abgrenzen könnten.
Kaffee als Suchtmittel?
Eine Frage ist aber noch ungeklärt: Wie schädlich ist Coffein eigentlich? Hatte Sebastian Kneipp mit seiner Behauptung, Kaffee sei Gift für den Körper, vielleicht doch recht? Pharmakologe Stephan Krähenbühl konterte diese Frage mit einem klaren Nein. Lebensgefährlich sei der Konsum von Coffein via Tee oder Kaffee kaum. Es gebe allerdings Abstinenzsyndrome: „Trinkt man unter der Woche bei der Arbeit ständig Kaffee und setzt dann den Konsum am Wochenende aus, so kann dies durchaus zu starken Kopfschmerzen und Müdigkeit führen“, erklärte Krähenbühl. Kaffee könne abhängig machen, „als Sucht würde ich es jedoch nicht bezeichnen, weil der Konsum sozial akzeptiert ist und man seine Gesundheit nicht gefährdet“, so der Pharmakologe.
Coffein hat aber auch positive Wirkungen auf den Körper. Einerseits sorgt es für eine erhöhte Adrenalinausschüttung, die Konzentrationsfähigkeit wird dadurch verbessert. Ausserdem erhöht der Wirkstoff die allgemeine Leistungsfähigkeit kurzzeitig. Deshalb war Coffein auch lange Zeit auf der Dopingliste zu finden. Überraschendes konnte angeblich eine amerikanische Studie nachweisen, die Krähenbühl während seines Vortrags präsentierte: Die Studie ergab, dass die Sterblichkeit bei steigendem Kaffeekonsum sinkt, obwohl Coffein für erhöhten Blutdruck sorgt. Je mehr Kaffee man trinkt, desto länger lebt man. Krähenbühl warnte allerdings davor, der Studie allzu viel Glauben zu schenken, denn sie beinhalte „einige Unsicherheitsfaktoren“. Beispielsweise wurden den Versuchspersonen nie mehr als 6 Tassen pro Tag verabreicht.
Kaffee macht abhängig und der Konsum hat in den westlichen Ländern in den letzten 200 Jahren sehr stark zugenommen. Trotzdem hält Krähenbühl diesen Trend nicht für problematisch, da Coffein in seiner Wirkungsweise für den Körper weitaus weniger schädlich sei wie beispielsweise Alkohol. Als „problematisch“ bezeichnete er jedoch die Coffein-Alkohol-Mischungen wie etwa Wodka/Red Bull, die in den letzten Jahren stark in Mode gekommen sind. Die genauen Auswirkungen solcher Mischungen seien nicht bekannt und schwer nachzuvollziehen.
Die Frage der Wirkungsweise von Coffein beschäftigte scheinbar auch das Publikum, denn die Mehrheit der Fragen in der Plenumsdiskussion zielte in diese Richtung. Pharmakologe Stephan Krähenbühl musste teilweise auch eingestehen, dass die Pharmakologie nicht auf sämtliche Fragen in Bezug auf die Wirkung von Coffein eine Antwort hat. So soll eine Studie nachgewiesen haben, dass Coffein bei Demenzkranken positiv wirke, weil es den Krankheitsverlauf verzögere. Doch auch diese Studie ist laut Krähenbühl in Forschungskreisen sehr umstritten.
Zum Schluss formulierte ein Arzt aus dem Plenum eine interessante These, indem er meinte, dass Psychologie möglicherweise auch eine gewisse Rolle bei der Wirkung von Coffein spiele. Bei Menschen, die der festen Überzeugung sind, dass eine Tasse Kaffee früh morgens munter macht, sei der Effekt vielleicht grösser als bei den Zweiflern. Nachweisen lässt sich diese Vermutung aber kaum. Eines steht jedoch mit Sicherheit fest: Zum „Menschenmörder“ wurde das Coffein auch an diesem Sonntagnachmittag im Café Scientifique nicht. Ein beruhigender Schluss.
Dieser Artikel wurde von der Universität Basel in Auftrag gegeben und bezahlt.
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