Fritz Vahrenholt hat die Gräben in der Klimadebatte wieder weit aufgerissen. Der frühere Hamburger Umweltsenator und langjährige Manager beim deutschen Energieriesen RWE hat mit seinem Buch «Die kalte Sonne» auch hiesige Medien bewegt. Er versuchte nachzuweisen, dass nicht der Mensch, sondern die Sonne für den globalen Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte verantwortlich sei. In zwei Radio- und Fernsehsendungen, wo Schweizer Kontrahenten des aktuellen Meinungsstreits aufeinandertrafen, wurden (in Abwesenheit des Autors) seine Thesen diskutiert. Besonders aufschlussreich war die Auswahl bzw. Auswechslung der Diskussionsteilnehmer.
Mit oder ohne Moral am Radio
In der Sendung «Kontext» auf DRS 2 vom 24. Februar konfrontierte Moderator Christoph Keller den ETH-Klimaforscher Andreas Fischlin mit Weltwoche-Wissenschaftsredaktor Alex Reichmuth, die sich beide grundsätzlich widersprachen. Fischlin argumentierte mit mehrheitlich anerkannten wissenschaftlichen Resultaten, wonach die Klimaerwärmung eindeutig menschengemacht und der Einfluss der Sonne marginal sei. Reichmuth liess diesen Nachweis nicht gelten und etikettierte den Weltklimarat IPCC wiederholt als Propagandamaschinerie, die rücksichtslos eine grüne Klimapolitik durchsetzen will. Im IPCC würden anstelle von unabhängigen Wissenschaftlern manipulierbare Agitatoren sitzen, die mit den Umweltorganisationen verbündet seien. Eine solche Verschwörungstheorie fand ausser Fischlin auch Gesprächsteilnehmer Andreas Brenner absurd. Dem Philosophen von der Uni Basel stach ferner Reichmuths etwas scheinheiliges Postulat in die Nase, in der Klimafrage sollte nicht moralisch, sondern sachlich argumentiert werden. Über Moral zu reden sei aber wichtig, besonders angesichts der bedrohlichen Folgen in der Dritten Welt und der Gefährdung der Zivilisation schlechthin, so Brenner.
Laissez faire und Besorgnis am Fernsehen
In der Sendung «Basler Zeitung Standpunkte» vom 10. März, einem Fenster auf SF 1, hatte Gastgeber und BaZ-Chefredaktor Markus Somm ebenfalls Alex Reichmuth zur Seite. Am andern Flügel, getrennt durch Moderator Patrick Rohr, sassen SF-Meteorologe Thomas Bucheli und der Klimatologe Heinz Wanner. Der emeritierte Professor der Uni Bern hatte gegen Somm und Reichmuth einen schweren Stand. Somm hält bekanntlich nichts von UN-Organisationen wie dem Weltklimarat IPCC, der nie fähig sein werde, einen weltweiten Kompromiss für Massnahmen herbeizuführen. Man solle sich vielmehr mit dem (vermeintlichen) Klimawandel arrangieren und in der Energieversorgung ausschliesslich den Markt spielen lassen. Wanner äusserte dagegen Besorgnis, dass die Erderwärmung zu grossen Konflikten (z.B. um Wasser) in armen Ländern führen werde, was sich bei uns in Form von zunehmenden Flüchtlingsströmen auswirke. Reichmuth wiederholte, dass er dem Weltklimarat absolut nicht vertraue und ausserdem gemäss Vahrenholt allein die Sonne die Erde aufwärme. Bucheli konterte mit Fachwissen und versuchte zu vermitteln, fand aber auf der Gegenseite kein Gehör. Wanner hielt sich bei der Verteidigung des IPCC zurück, weil er nicht mehr aktiv an der Front sei. Zudem wirkte der behäbige Wissenschaftler in seiner politischen Argumentation ein bisschen blauäugig, was die Hardliner Somm und Reichmuth rücksichtslos ausnutzten.
Brisant ist schliesslich zu wissen, dass anstelle von Wanner vorerst ETH-Forscher Andreas Fischlin vorgesehen war. Das Mitglied der Schweizer Delegation an den Weltklimakonferenzen wurde jedoch kurzerhand ausgeladen, nachdem Fischlin eine ausgewogenere Besetzung der Diskussionsrunde verlangt hatte. Man wolle ihm einen weiteren Auftritt (nach «Kontext») mit Reichmuth ersparen, hiess es aus dem Büro von Moderator Patrick Rohr. Der Ex-SF-Mann wird in der Sendung als Journalist vorgestellt und von der BaZ bezahlt. Die publizistischen Leitlinien von Schweizer Radio und Fernsehen SRF fordern im Prinzip ein unabhängiges Programmangebot, das heisst die Redaktionen sollten «keine Ideologie, keine Partei oder sonstige Interessengruppe bevorzugen». Gilt dieser Anspruch auch für Fenstersendungen wie «BaZ Standpunkte», Herr de Weck? Beim Thema Klimawandel jedenfalls scheinen Skeptiker (aus welchen Gründen auch immer) überproportional willkommen zu sein. Ihnen gelingt es häufig, wissenschaftlich unhaltbare Behauptungen widerspruchslos vorzutragen, erhärtete Fakten einfach auszublenden und damit Unsicherheit und Verwirrung über die redliche Forschung zu verbreiten.
Hinweis: Dieser Beitrag ist ausdrücklich die persönliche Meinung des Autors.
Zur Radiosendung «Kontext»
Zur Fernsehdiskussion «BaZ Standpunkte»
Ein schönes Bsp., wie demagogisch Vahrenholt/Lüning argumentieren: In der Zeit (http://www.zeit.de/2012/10/AM-Forum-Klima; von der Zeit-Onlineredaktion wunderbar antithetisch illustriert) schreiben sie, der CO2-Gehalt der Atmosphäre habe durch menschl. Aktivitäten «um 0,011 Prozent zugenommen», könne also in der Erderwärmung nur eine «marginale Rolle» spielen. CO2 hat aber von 285 auf 395 ppm um 0,011 ProzentPUNKTE zugenommen – resp. um vierzig Prozent!
Immer wieder interessant, die Beiträge hier zu lesen…auch wenn sie selten sind. Vieles gibt Aufschlüsse für eigene Projekte.
interessant vor allem die Theorie, dass Wassermangel in gewissen Ländern zu Flüchtlingsströmen in unsere Gefilde führen kann. Man soltle meinen, es gäbe genug Ideen udn kreativität, das zu umgehen, aber Abzocke wird sicher auch da ein Thema!