Der Rückzug der lauthals angekündigten Informationskampagne für Gentests, die ETH-Professor Ernst Hafen auch mit Geld vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) lancieren wollte, hinterlässt einen Scherbenhaufen. Es sind aber nicht nur Ungereimtheiten im Unterstützungsantrag, aufgedeckt von DRS-Wissenschaftsredaktor Christian Heuss, die das Projekt in einem trüben Licht erscheinen lassen. Was vielmehr erstaunt, ja sogar erschreckt, sind die engen Verbandelungen zwischen Wissenschaft, PR, Förderinstitutionen und Medien – dies zum Zweck, die gesellschaftlich umstrittene Botschaft «Gentests für alle zum Nutzen der Forschung» im Schweizerland möglichst wirksam an Mann und Frau zu bringen.
Diskrete Verbandelungen
Die geschickt getarnten Verflechtungen werden im Gesuch an den SNF sichtbar. Im Management-Team sitzen neben einem Wissenschaftler (ETH-Professor Ernst Hafen) und einer Wissenschaftlerin (UZH-Professorin Effy Vayena) auch drei Vertreter aus dem Kommunikationssektor. Sie sind alle leitende Fachkräfte und zwar von Life Science Zurich, von advocacy sowie von Medgate. Life Science Zurich ist eine Online-Plattform von ETH und Universität Zürich zur breiten Propagierung der Spitzenforschung in den Lebenswissenschaften, gemeinsam mit Akteuren aus Akademie, Wirtschaft und öffentlichem Sektor.
Die Beratungsfirma advocacy in Basel und Zürich arbeitet in der Wissenschaftskommunikation, dies vornehmlich in den Bereichen Lebenswissenschaften und Bildung, ebenfalls mit Mandaten für Life Science Zurich. Ein Geschäftsleitungsmitglied von advocacy sitzt sowohl in Hafens Gentest-Projektteam als auch als Chief Financial Officer im ETH-Spin-off EvalueScience, das wiederum von Professor Hafen geführt wird. Das Jungunternehmen hat sich darauf spezialisiert, erfolgversprechende Projekte aus der Biotechnologie zu identifizieren. Medgate ist gemäss Eigenwerbung der «führende Anbieter telemedizinischer Dienstleistungen in der Schweiz». Den Chief Medical Officer in der Medgate-Geschäftsleitung findet man ebenfalls im Team der Gentest-Sensibilisierungskampagne.
Damit die Informationsoffensive eine Breitenwirkung zeigt, braucht es ausser den universitären Plattformen ebenfalls die Massenmedien. Im SNF-Gesuch werden dazu denn auch mögliche Partnerschaften mit Leitmedien (NZZ, TA, SRF) und konkrete Sendungen vorgeschlagen, z.B. auf SF Der Club und Sternstunde Philosophie, auf DRS Doppelpunkt und Input. Während bei den öffentlich-rechtlichen Sendern keine Journalisten namentlich genannt werden, taucht beim Gratisblatt 20 Minuten explizit der Name des Redaktionsleiters der «Wissen»-Seiten auf, zu dem der Gesuchsteller «gute Beziehungen» habe.
«Short science spots» in 20 Minuten
Für das jüngere Publikum von 20 Minuten sollen gemäss Gesuch regelmässige «short science spots» zum Thema personalisierte Genomik und Medizin geplant werden. Der Redaktionsleiter leitet im Übrigen eine eigene Firma namens scitec-media. Sie bezeichnet sich als «unabhängige Fachredaktion für Wissenschaftsjournalismus», übernimmt aber auch umfangreiche Public-Relations-Aufträge in den Bereichen Medizin, Medizintechnik, Biotechnologie und Gentechnik. Und ausserdem: Die wöchentlich erscheinenden zwei Seiten in 20 Minuten, dem grössten Print-Titel des Landes (ca. 1,3 Mio. Leser) aus dem Hause tamedia, werden durch die Stiftungen Mercator Schweiz und Gebert Rüf finanziert. Gebert Rüf ist, nebenbei bemerkt, auch als Sponsor für die Jekami-Gentest-Aktion von Ernst Hafen vorgesehen.
Die personellen und strukturellen Vernetzungen innerhalb des Gentests-Projekts darf man durchaus als Filz zwischen Forschung, PR, Förderorganisationen und einzelnen Medien charakterisieren. Gerade 20 Minuten, das sich seine Wissenschaftsseiten fremdfinanzieren lässt, ist der Gefahr einer Instrumentalisierung durch Interessengruppen besonders ausgesetzt. Falls all diese Verbindungen offengelegt würden, könnten die Medienkonsumenten die Glaubwürdigkeit der Quellen einschätzen und sich so ihre Meinung selbst bilden. Die Transparenz bei Veröffentlichungen (in 20 Minuten) in Zusammenhang mit der Gentest-Offensive von ETH-Professor Ernst Hafen wäre hingegen nicht gewährleistet.
Abbau in den Redaktionen, Ausbau an den Unis
Die Situation widerspiegelt die Entwicklung der letzten Jahre. Während die Massenmedien generell (mit löblichen Ausnahmen!) Budgets und Personal in den Wissenschaftsredaktionen spürbar reduziert haben, sind die Kommunikationsabteilungen an den Hochschulen und in wissenschaftsnahen Institutionen kräftig ausgebaut worden. Die Folgen dieses Trends sind bisher noch kaum öffentlich diskutiert worden. Vielleicht könnte der Kommunikations-GAU der Gentest-Kampagne dafür ein Auslöser sein. Auch der Schweizerische Nationalfonds, der solche interessengebundenen Kampagnen zu finanzieren gedenkt, muss sich kritische Fragen gefallen lassen.
Hinweis: Dieser Beitrag ist ausdrücklich die persönliche Meinung des Autors.
Dieser Fall illustriert noch etwas anderes, was mit der Verfilzung aber zusammenhängt. Ich recherchiere grad (mal wieder) zum Thema Zusammenarbeit Wissenschaft-Wirtschaft. Spricht man Hochschulvertreter darauf an, sehen sie dabei (wenn sie nicht gleich jegliche Problematik als «Journalistengeschwätz» abtun, wie Patrick Aebischer im NZZ Folio 3/2011) i.d. Regel das Risiko, dass Geldgeber Einfluss auf Forshcungsresultate nehmen. Das kommt natürlich vor, siehe Tamiflu usw., doch es ist nur ein kleiner Teil der Problematik. Wichtiger: Die (von der Politik verlangte) unternehmerische Neuausrichtung der Hochschulen verändert Institutionen, Sprache und Werte der Wissenschaften (vgl. dazu z.B.: Philip Mirowski, Science-Mart, Harvard Univ. Press 2011).
Ernst Hafen, der ja seinerzeit als Aebischers Statthalter die ETHZ zum Unternehmen umbauen wollte, scheint mir die ideale Illustration. Hafen scheint so sehr in Marketingkategorien zu denken, dass wissenschaftliche Vorsicht und Seriosität unter die Räder gerät. Aber indem Hafen als Wissenschafter auftritt, suggeriert er, dass diese Seriosität gegeben sei.
Interessant war ja, dass die Info-Plattform Mein-Genom-und-wir heißen sollte. 23-and-We ist der «research arm» von 23-and-Me, einer kommerziellen Genomik-Firma; eine 23-and-Me-Mitarbeiterin sagte 2011 am (von Hafen präsidierten) Life Science Zurich Business Network Meeting, 23-and-We sei die «Community Platform» von 23-and-me. Community ist noch lukrativer als research arm: Man weiß, dass Leute in Online-Communities gern viele viele wertvolle Informationen über sich preisgeben, alles gratis…
Übrigens: Lese grad Mike Fortun, Promising Genomics, über deCODE Genetics (remember: die wollten die Genome der gesamten isländischen Bevölkerung erfassen). Fortun betont immer wieder, wie die ganze Genomik-Industrie auf puren Versprechen gebaut war, schön analog zur hochspekulativen Ökonomie der letzten Jahre. Das ist 13 Jahre her, und wenn ich Hafen höre, dann kommt er wieder mit genau diesen hochgepeitschten Versprechen.
Im Unterschied zur hochgepeitschten Ökonomie geht es Hafen wohl weniger um Geld als um den Forschungsstandort Schweiz. Zusammen mit seinen Kollegen aus der Systembiologie (Aebersold und Konsorten) sieht er die ETH als geeigneten Ort, um die personalisierten Gen- und Proteinanalysen vorwärts zu treiben. Sagt er zumindest im Gespräch, wobei sein missionarischer Eifer zuhanden dieser umstrittenen Tests schwer nachzuvollziehen ist. Mindestens so problematisch finde ich die Rolle des Nationalfonds. Statt sich für eine möglichst objektive und sachgerechte Information einzusetzen, finanziert er eine Lobbykampagne, die den Leuten Gentests schmackhaft machen will. Würde mich mal interessieren, wer in der Expertenkommission das Projekt durchgewunken hat.
Nicht nur Hafen haut in diese Kerbe, auch Professor Sabina Gallati, Inselspital Bern schlug letzten Sonntag (Sonntagszeitung?) mit dem Zweihänder drein. Jetzt da sich erweist, dass mit Genomanalyse und Gentechnik noch lange nichts erreicht ist, meinen Sie die davonschwimmenden Felle mittels jegliche datenschützerische Bedenken ignorierenden dreisten Forederungen doch noch wieder einfangen zu können.
Es liegt an der Legislative (nicht dem beamtenverseuchten parteiischen Bund) hier endlich klare Grenzen auszusprechen