Das Thema ist schon einige Zeit am Kochen und hätte meiner Meinung nach alle Eigenschaften, in den Medien vertieft behandelt zu werden. Spätestens seit Deborah McKenzie vom New Scientist Ende September ab einer Konferenz in Malta berichtet hat, dass Ron Fouchier in Rotterdam einen H5N1-Grippevirenstamm zusammengewürfelt habe, mit dem die in Sachen Grippe dem Menschen nahen und so herzigen Frettchen von Käfig zu Käfig, also über die Luft angesteckt werden können. Denn angeblich sind da nur fünf in der Natur zirkulierende Mutationen zusammen vereint und machen das Virus doch so virulent, wie man es zwar für möglich aber unwahrscheinlich gehalten hatte. Gefährlich für Frettchen vorerst. Aber unangenehmerweise sterben bis jetzt 35 bis 50 Prozent der auf anderem Weg mit H5N1 infizierten Menschen, gerade eben wieder mal in Indonesien und China. Es braucht, wie wir aus vorherigen Grippetagen wissen, für das Neukombinieren ein „mixing vessel“, bsiher meist Schweine, von denen es als für amerikanische Mägen arbeitende vierbeinige Proteinfabriken allein rund um Mexiko City mehr als eine Million hätte… Wie man das in Rotterdam und Wisconsin gemacht hat, ist ein vorerst gut gehütetes Geheimnis.
Der Bericht von New Scientist jedenfalls fand ein wenig, aber kein grosses Echo.
Inzwischen sind die beiden Teams mit ihren Papers niedergekommen und haben, wie man das ja von anderen doppelten „Durchbrüchen“ kennt, offenbar je „Nature“ und „Science“ bedient. Die beiden Journale wiederum verklickerten ihren Kunden in den Medien, dass das amerikanische Advisory Board für Biosicherheit Bedenken geäussert habe und darum diskutiert werde, ob man die Texte nicht um die Schlüsselinformationen kürzen müsse, die böswilligen Gruppen erlauben würden, einen Nachbau zu wagen. Beide Editors wiegten ihren Kopf schwer hin und her und tun das vielleicht noch heute.
Das war vor Weihnachten und manche Medienschaffenden mögen sich gedacht haben, man sollte die frohen Tage nicht mit düsterem Raunen verderben.
In „Nature“ vor 10 Tagen und letzte Woche auch in „Science“ ist dann aber als Intermezzo eine mehrstimmige Diskussion um die Zensur von wissenschaftlichen Publikationen gelaufen, in der die einen einen totalen Verzicht, andere eine ebenso totale volle Publikation aller Daten forderten.
Am Freitagabend wurde dann überraschend um 1805 von Science und Nature gemeinsam der von 39 Forschenden unterzeichnete Beschluss zu einem 60tägigen Forschungsstopp bekannt gegeben (die Links finden sich hier), den die beiden Labors, in denen der angeblich gefährliche Stamm produziert wurde, mitunterzeichneten. Aber auch ferne andere, wie etwa vom Löffler-Institut in Deutschland. Unter den Unterzeichnenden finden sich aber einige Namen nicht, die in der Grippevirologie eine laute Stimme haben.
Das Ereignis ist ziemlich einzigartig. Seit Asilomar 1975 kommt mir kein Forschungsstop aus Vorsicht in den Sinn. Ein brisantes Thema.
Meinte ich. Denn es schien über das Wochenende ausser ein paar wenige (wie halt die Sonntags-BaZ oder die NZZ) nicht zu interessieren. (Immerhin hat die in solchen Sachen zuverlässige DPA einen Bericht laufen lassen.) Jetzt pfeif ich mit ganz wenigen allein im Wald und frag mich, wo all die andern geblieben sind. Sitz ich als alter Hase einfach im falschen Gras? Sind die alten Reflexe erlahmt? Oder herrscht so viel Zurückhaltung, weil es wieder mal um Grippe geht, die nie wirklich das hält, was man von ihr befürchtet?
Ausser vielleicht diesmal?
Ehrlich gesagt, mir kommt das Ganze etwas lächerlich vor – zu nah an den Drehbüchern einiger Hollywood Schinken. Man braucht nicht ein Virenlabor zu gründen, um viel Schaden zu verursachen.
Man sollte auch nicht nur den möglichen Schaden betrachten, den jemand mit grossem Aufwand vielleicht anrichten könnte, bevor es sowieso auf natürlichem Wege passiert. Der Schaden, dass man eine Epi/Pandemie nicht bekämpfen kann, weil die nötige Information nicht zur Verfügung steht, ist einiges konkreter. Aber sitzen wir und die NIH Bürokraten halt in einer Denkfalle: http://de.wikipedia.org/wiki/Action_Bias
Pro und Kontra in einem Artikel von Lena Stallmach in der NZZ:
http://www.nzz.ch/nachrichten/hintergrund/wissenschaft/gefahr_aus_dem_labor_1.14864708.html
Science versus Spin. Interessanter Kommentar von Peter Sandmann:
http://www.psandman.com/articles/Fouchier.htm