Am letzten Café Scientifique des Herbstsemesters 2011 wurde über das komplexe Thema der Stammzellenforschung diskutiert. Drei Experten gaben Einblick in ihre Arbeit und zeigten, welche Chancen, aber auch welche moralischen Kontroversen durch ihre Forschung entstehen.
Mit Kreide an die Wandtafel zeichnend versuchte Biomediziner Antoine Peters dem Publikum zum Einstieg in das komplizierte Thema Grundlegendes über Stammzellen zu erklären. Der menschliche Körper bestehe aus über 200 verschiedenen Zellen, erzählte Peters. Diese Zellen seien die Bausteine unseres Körpers und würden uns zu dem machen was wir sind: Menschen, die essen, atmen, schlafen. Damit sich diese Zellen erneuern können, brauche es die Stammzellen. Diese seien beispielsweise dafür verantwortlich, dass die Haut nach einem Kratzer wieder verheilt. „Als pluripotent bezeichnet man nun Stammzellen, die sich zu allen Arten von Zelltypen entwickeln können, ausser zur Plazenta“, beschrieb der Spezialist weiter. Diese pluripotenten Stammzellen würden sich zu Zelllinien weiterentwickeln, die eine spezifische Funktion haben. Zum Beispiel würden sich Blut-Stammzellen zu roten oder weissen Blutkörperchen entwickeln. Die spezialisierten Stammzellen nenne man dann multipotent. Eine Art der pluripotenten Stammzellen seien die embryonalen Stammzellen, leitete Peters von den grundlegenden Informationen zum eigentlichen Thema über. Die Isolation dieser pluripotenten Stammzellen sei für Wissenschaft und Medizin interessant. „Und damit gebe ich weiter an meinen Kollegen, der am Universitätsspital Basel mit Stammzelltransplantationen arbeitet.“
Bébés à double espoir
„Ich möchte Ihnen die Geschichten von zwei Patienten erzählen“, sagte Jakob Passweg zum Einstieg in seinen Vortrag. „Ein Patient hat Knochenmarkversagen, der andere Leukämie.“ Beiden Patienten könne mit einer Stammzellentransplantation geholfen werden. „Nur wie kommt man zu Stammzellen, die man transplantieren kann?“ schilderte der Chefarzt der Hämatologie das Ausgangsproblem. Es gäbe drei Arten der Stammzellengewinnung: Zum einen die Knochenmarkentnahme, bei der aus dem Hüftknochen Knochenmark entnommen wird, dann die Mobilisierung von Blutstammzellen, bei der die Stammzellen zum Verlassen des Knochenmarks gezwungen werden, damit sie in den Blutkreislauf gelangen und dort entnommen werden können, und die dritte Möglichkeit sei die Verwendung von Nabelschnurblut. „Zum Zeitpunkt der Geburt sind im Blut des Neugeborenen sehr viele Stammzellen zu finden. Früher wurden Nabelschnur und Plazenta weggeworfen, heute gibt es eine Datenbank, bei der sich Mütter freiwillig anmelden können. Dann werden die Stammzellen aus der Nabelschnur eingefroren“, beschrieb Passweg die neue Technik. Doch auch wenn man die Stammzellen durch diese drei Arten gewinnen könne bestehe stets noch das Problem, ob die Stammzellen auch zum jeweiligen Patienten passen. Zunächst schaue man immer erst in der Familie, ob ein passender Spender vorhanden sei, dann schaue man in Datenbanken. „Doch zum Beispiel haben meine zwei Patienten, beides Kinder, keine passenden Spender.“ Beide Elternpaare der Kinder hätten deshalb den Wunsch, ein so genanntes Retterbaby zu bekommen: „Sie wollen schwanger werden und zwar mit einem Kind, das die Gewebeeigenschaften des kranken Kindes besitzt, so dass es als Stammzellenspender in Frage kommt“, beschrieb Passweg. Damit ein solches Kind geboren werden könne, sei jedoch eine Pärimplationsdiagnostik nötig, um überprüfen zu können, ob der Embryo tatsächlich zum kranken Kind passt oder nicht. „Das ist in der Schweiz jedoch verboten“, so der Arzt weiter. In anderen Ländern Europa sei die Methodik jedoch erlaubt, weshalb die betroffenen Paare oft ins Ausland ausweichen würden. Ein Kind als Ersatzteillager? Obwohl am Podium lediglich Naturwissenschaftler und kein Ethiker anwesend waren, fragte das Publikum kritisch nach, wie diese Methodik ethisch zu vertreten sei. „Man nennt diese Babys auch ‚bébé à double espoir‘. Dieser Name sagt eigentlich schon alles: Es geht nicht nur um die Rettung des kranken Kindes, sondern es geht auch um das neugeborene Kind“, rechtfertigte Passweg.
Präimplationsdiagnotik
Bevor sich die ethische Debatte vertiefen konnte knüpfte ein weiterer Arzt an den Vortrag von Jakob Passweg an. Christian de Geyter sprach vor dem Publikum über die Reproduktionsmedizin und darüber, wie diese mit der Stammzellenforschung kooperiere. Bevor er von den neusten Methoden erzählte, warf er einen Blick zurück. „Seit den sechziger Jahren, seit es die Pille gibt, hat sich die Fortpflanzung medikamentisiert. Seither kann man die Familienplanung regulieren“, führte de Geyter ein. Zudem sei auch die Pränataldiagnostik heute anerkannt und normal. Wenn während der Schwangerschaft erkannt werde, dass ein Kind krank sei, so könne man es abtreiben, fuhr de Geyter fort. „Jedoch gibt es auch Krankheiten, die man bereits vor der Schwangerschaft diagnostizieren kann. Hierzu braucht man die Präimplationsdiagnostik, die in der Schweiz aber eben verboten ist.“ Dadurch sei auch das Bekommen von Retterbabys in der Schweiz unmöglich.
„Das ist doch unlogisch“, warf ein Zuhörer ein, „es ist erlaubt, eine Schwangerschaft abzubrechen wenn ein Kind krank ist, aber es ist nicht erlaubt, vorab zu schauen, ob diese Krankheit auftreten könnte. Das geht nicht auf!“. Christian de Geyter schmunzelte. „Sagen Sie das dem Parlament.“ Würde man die Präimplationsdiagnostik in der Schweiz zulassen, so müsse man jedoch strenge gesetzliche Regeln haben, damit kein Missbrauch stattfinde, so de Geyter weiter. „Aber ich als Vater, ich würde diesen Weg gehen.“ Genau dort liege aber doch das Problem, griff Moderator Christoph Keller die Aussage auf. „Man muss differenzieren zwischen einer Individualethik und einer Gesellschaftsethik. Es macht einen Unterschied, ob ein einzelnes Elternpaar sich für die Methode entscheidet oder ob es allgemein gesetzlich erlaubt ist.“ Man müsse halt stets abwägen zwischen „guten und weniger guten Situationen“, antwortete de Geyter und betonte, dass es sich bei den Retterbabys nicht um Kinder mit wunschgemäss blauen Augen und blonden Haaren handle, sondern um Kinder mit bestimmten Gewebsmerkmalen.
Abschliessend, so waren sich Referenten, Publikum und Moderator einig, müsse man sich vor Augen halten, dass es sich bei den Retterbabys um wenige ausgesuchte Fälle handle, die nicht anders behandelt werden können. Ebenfalls müsse man aber auch immer bedenken, dass es sich dabei um eine Methode handelt, die Begehrlichkeiten weckt.
Dieser Artikel wurde von der Universität Basel in Auftrag gegeben und bezahlt.