Bonbons aus Olivenöl, Kaviar aus Campari, Schaum aus Karotten – die Molekularküche ermöglicht die Herstellung ganz neuartiger Lebensmittel und Geschmäcker. Drei Referenten sprachen am Café Scientifique vom 11. Dezember über Möglichkeiten und Grenzen der Chemie auf dem Teller – und enthüllten dabei Unerwartetes: Wer hätte schon gedacht, dass bei der Herstellung solcher Gerichte kaum Zusatzstoffe, sondern vor allem natürliche Grundprodukte verwendet werden?
Eine kulinarische Kostprobe gab es am Café Scientifique keine – dafür aber reichlich geistige Nahrung. Den Anfang machte der Chemiker Thomas Pfohl. Er klärte das Publikum über die physikalischen Grundlagen der Molekularküche auf und beschrieb die drei typischen Verfahren, die dabei zum Einsatz kommen: Die Anwendung von flüssigem Stickstoff, Emulsionen sowie Verdicken und Gelieren. Mit dem minus 196 Grad kalten flüssigen Stickstoff werde erreicht, dass zahlreiche kleine Kristalle entstehen, sodass die Geschmackentfaltung eines Lebensmittels verbessert wird. Die Emulsion, die in der Molekularküche verwendet wird, diene dem Zusammenhalt von Wasser und Öl oder von Wasser und Luft. So entstehe beispielsweise der berühmte „Air“, wie Schaum in der Molekularküche bezeichnet wird. Und das Verdicken und Gelieren werde eingesetzt, um flüssige Lebensmittel fest zu machen, etwa um aus Campari Kaviar herzustellen.
„Das sind also die Grundlagen der Molekularküche“, resümierte Thomas Pfohl. Jedoch, so ergänzte er sogleich: Wirklich neu seien diese Anwendungen nicht. „All diese Effekte werden seit Jahrhunderten in der Küche verwendet. Das Prinzip wird in der Molekularküche schlicht auf die Spitze getrieben.“ So werde bei der Herstellung von Eis oder Sorbet der Effekt des flüssigen Stickstoffs durch intensives Rühren erreicht, die Wirkung der Emulsion könne auch durch Eigelb herbeigeführt werden und das Verdicken und Gelieren könne auch durch Zucker oder Stärke erfolgen.
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Ist die Molekularküche also gar nicht derart revolutionär, wie sie oftmals anmutet?
„Schon seit eh und je basiert das Kochen auf der Veränderung von molekularen Eigenschaften. Und auch schon seit eh und je war das Ziel des Kochens ein tolles Geschmacksereignis“, relativierte Pfohl die Einzigartigkeit der Molekulargastronomie nochmals. Und doch: Bei der Molekularküche sind Substanzen im Spiel, die in der normalen Küche nicht verwendet werden – und die gar gefährlich sein können. So darf der flüssige Stickstoff nur mit Hand- und Gesichtsschutz benutzt werden, da er zu schlimmen Verbrennungen führen kann. Der kulinarischen Experimentierfreude sind also durchaus auch Grenzen zu setzen: Philipp Hübner setzte sich in seinem Beitrag mit diesen auseinander. Der Kantonschemiker erklärte zunächst, dass es keine lebensmittelrechtliche Regelung für die Molekularküche gäbe. Jedoch bedürften technologische Verfahren, die die physiologischen Eigenschaften oder die stoffliche Zusammensetzung von Lebensmittel nachweisbar verändern, eine Bewilligung. Ob die Molekularküche nun dazu zähle, hänge davon ab, inwiefern sie schlicht als „alter Wein in neuen Schläuchen“ bezeichnet werde. Grundsätzlich gehe es darum, banale Regeln einzuhalten: Es dürfen nur zulässige Lebensmittel, Zusatzstoffe und technische Verfahren angewandt werden. „Wird all dies eingehalten, so braucht die Molekularküche keine Bewilligung“, erklärte der Biologe.
Skepsis der Konsumenten
Trotzdem aber löst die Unsicherheit bezüglich der Inhaltsstoffe der Molekularküche bei vielen Konsumenten Skepsis aus. „Ist schon einmal jemand wegen der Molekularküche erkrankt?“ wollte ein Zuhörer wissen. Philipp Hübner beruhigte: „Mir ist nichts bekannt. Gefährlich kann es aber unter Umständen für Allergiker werden. Denn oft werden Substanzen oder Zutaten verwendet, etwa Nüsse, die dann nicht angegeben werden.“ Thomas Pfohl doppelte nach: „Die Substanz Metil, die bei der Molekularküche oft verwendet wird um gelartige Substanzen herzustellen, ist der Hauptbestandteil von Tapetenkleister.“ Das sei zwar ungefährlich, klinge aber dennoch komisch, so der Chemiker.
Risiko hin oder her – wirklich zu boomen scheint das molekulare Kochen bei den Konsumenten nicht. Das stellte auch Brigit Hofer, Leiterin Verbrauchspolitik Coop Schweiz, fest: „Zwar gab es durchaus einen Boom, aber die Molekulargastronomie scheint einfach zu aufwendig zu sein, als dass sie zu Hause nachgekocht wird.“ Doch nicht nur der grosse Aufwand steht dem Durchbruch der Molekularküche im Weg, auch andere Aspekte spielen eine Rolle. Hofer zitierte eine Studie in der die Ess-Trends der Schweizer untersucht wurden. Dabei habe sich gezeigt, dass die Konsumenten insbesondere frische und regionale Produkte bevorzugen und dass zudem ein Trend zum Authentischen und Natürlichen festzumachen sei. „Kochen und Essen ist etwas sehr traditionelles, das sich im Laufe der Zeit nur wenig verändert“, resümierte Hofer. „Man macht keine grossen Experimente und isst gerne das, was man schon kennt.“ Es sei deshalb gut nachzuvollziehen, weshalb die Molekularküche auf eher wenige Nachfrage stosse.
„Wer hat schon einmal etwas aus der Molekularküche gegessen?“ fragte Moderatorin Odette Frey quasi als Test ins Publikum. Geschätzte zehn Prozent des Publikums erhoben die Arme – und schwärmten: „Es schmeckte einfach fantastisch. Und so überraschend!“ beschrieb etwa eine Zuhörerin.
Falsches Etikett?
Sie scheint also zu munden, die Molekularküche. Zu hapern scheint es hingegen beim Image. Denn: Die Molekularküche sei kein Gegensatz zu natürlich und authentisch, sondern entspreche genau diesem Trend, so Thomas Pfohl: „Die Molekularküche benutzt keine künstlichen Aromen, sondern nimmt das, was bereits da ist, und intensiviert es.“ Die Molekularküche habe schlicht einen falschen Ruf. Man müsse stärker hervorheben, dass man lediglich die natürlichen Aromen ausreizt. „Es ist nur das Etikett, das negative Reaktionen aufruft.“
Dieser Artikel wurde von der Universität Basel in Auftrag gegeben und bezahlt.