Schafft die Wissenschaft wirklich immer neues Wissen? Oder produziert sie gelegentlich auch Irrtümer? Am ersten Café Scientifique des Herbstsemesters 2011 wurde über wissenschaftliche Irrtümer, falsche Erkenntnisse und hartnäckige Mythen diskutiert.
Irren ist menschlich. Doch gilt das auch für Wissenschaftler? Am Café Scientifique waren sich alle drei Vortragenden einig: Ja! Roland Buser, emeritierter Professor für Astronomie, machte seine Ansicht gleich zu Beginn sehr deutlich: „Irrtümer gehören zur Wissenschaft dazu. Wer nicht offen dafür ist, Irrtümer zu begehen, der kann nicht Wissenschaftler sein.“ Insbesondere in seiner Disziplin, der Astronomie, sei es unmöglich, das Unbekannte und nur schwer Fassbare zu erforschen, ohne sich dabei auch mal zu täuschen. „Ich würde liebend gerne auf die Milchstrasse gehen und mich da umsehen. Aber es ist ein bisschen zu weit weg. Deshalb brüten wir hier unten Theorien darüber aus, wie es da oben aussehen könnte“, beschrieb der fröhliche Mann mit dem langen grauen Bart. So habe man sich auch geirrt, als man erstmals den Aufbau der Sonne zu erklären versuchte. Man sei damals davon ausgegangen, so schilderte Buser, dass die Sonne im Innern eine feste Kruste besitzt und erwartete dort gar Lebewesen. „Das ist natürlich unmöglich“, korrigierte Buser die damalige Ansicht. Jedoch habe gerade diese Vorstellung einer Sonne mit einem festen Substrat dazu geführt, dass man schlussendlich entdeckte, dass die Sonne aus verschiedenen Schichten besteht. „In der Astronomie ist man dazu gezwungen mit Komponenten zu arbeiten, von denen man weiss, dass man sie noch nicht weiss“, betonte der Physiker und plädierte abschliessend nochmals für eine verstärkte Akzeptanz von Irrtümern: „Leider hat das Wort Irrtum eine stark negative Konnotation. Wir wollten vielleicht besser von Hypothesen sprechen.“
Irren als Teil der Wissenschaft
Der nächste Referent knüpfte sogleich an Busers Schlusssatz an. Peter Jüni, Professor für klinische Epidemiologie, stimmte seinem Kollegen zu und verdeutlichte ebenfalls: „Man muss in der Wissenschaft Irrtümer machen. Sonst kann man schlicht keine vernünftige Forschung betreiben.“ Als Epidemiologe interessiert sich Jüni dafür, ob eine neue Therapie – zum Beispiel ein Medikament – tatsächlich wirksam ist oder nicht. „Unser Weg ist gepflastert von Irrtümern“, schilderte Jüni und zeigte dem Publikum konkrete Beispiele auf. „Das Schmerzmittel Celebrex wurde vor etwas mehr als zehn Jahren als Wundermittel gefeiert. Es wirke sehr effizient ohne Nebenwirkungen zu haben, so das Versprechen damals“, erzählte Lüdi. Ausgehend von einer grossen Studie mit 8’000 Patienten habe man zeigen können, dass das Celebrex insbesondere für den Magendarmtrakt sehr gut verträglich sei. „Andere Schmerzmittel wie Voltaren oder Brufen stanzen Löcher in den Magen“, beschrieb der Professor etwas zugespitzt. „Mit dem Celebrex könne dies nun umgangen werden, so die Forscher.“ Dieses Versprechen habe seine Neugier geweckt, führte Lüdi seine Erzählung fort, und er habe die Studie genauer angeschaut. Schnell habe er feststellen müssen, dass der Studie nicht getraut werden konnte. „Die Patienten wurden über zwölf Monate lang untersucht. Publiziert wurden aber nur die Ergebnisse der ersten sechs Monate“, entlarvte Lüdi den Fehler. Dies, da das Celebrex nach sechs Monaten ebenso schädlich ist, wie die anderen Schmerzmedikamente auch. „Die angebliche Verträglichkeit gilt nur für die Anfangszeit. Danach ist das Celebrex genauso schädlich wie die anderen Mittel“, so Lüdi. Eine Entwicklung, die die Forscher zu verheimlichen versuchten.
Irrtum oder Betrug?
Moderatorin Odette Frey warf an dieser Stelle jene Frage in den Raum, die sich inzwischen wohl so manchem Zuhörer stellte: Ist das nicht viel eher Betrug denn Irrtum? Lüdi zuckte mit den Schultern und erklärte: „Die Grenze zwischen Irrtum und Betrug ist sehr schwer festzumachen. Das einzige wirksame Mittel ist, alle Daten transparent auf den Tisch zu legen. Dann kann jeder selber aussuchen, ob er etwas glaubt oder nicht.“
„Was kann man denn der Medizin überhaupt noch glauben?“ konterte eine besorgte Zuhörerin. Lüdi beruhigte. Grundsätzlich sei die Transparenz und Glaubwürdigkeit der Medizin in den letzten Jahren enorm gestiegen. „Sie dürfen also ruhig das meiste glauben. Ich bin da optimistisch.“
Auch die dritte Referentin, Dr. Barbara Orland, sprach sich für die Notwendigkeit von Irrtümern in der Wissenschaft aus. „Irrtümer sind das Schmiermittel der Forschung“, so die Wissenschaftssoziologin. Sie fügte aber sogleich an, dass man darüber nachdenken müsse, wann man überhaupt von einem Irrtum sprechen könne. Denn die Entdeckung eines Irrtums bedeute nicht, dass man die Wahrheit gefunden habe. „Forschung und Erkenntnis sind dynamische Prozesse ohne Stillstand. Irrtümer beweisen nicht, dass nun die Wahrheit gefunden wurde, sondern sind lediglich ein Indiz für Kontroversen und Fragezeichen“, schilderte Orlander ihre Ansicht. Man könne nicht alles, was man heute besser weiss, schlicht als Irrtum abtun. „Man muss berücksichtigen, dass etwas, das heute unglaubwürdig ist, nicht unbedingt falsch ist. Stattdessen sollte man danach fragen, warum die heutige Erkenntnis eine andere ist als damals.“ Es sei notwendig, so die Soziologin weiter, dass das Bewusstsein für Wissenskonflikte gestärkt werde. Denn wissenschaftliche Erkenntnis sei niemals unumstösslich. „Rund um die Uhr sind Wissenschaftler damit beschäftigt, Lecks und Schwachstellen ihrer Theorien auszubessern und zu stopfen. Es ist ein dauerhafter Lernprozess“, betonte Orlander nochmals.
Trotz der Anerkennung von Irrtümern könne man aber „die Wahrheit nicht entlassen“, wandte der Astronom Roland Buser ein. „Man kann die Wahrheit zwar immer nur partiell enthüllen. Aber trotzdem ist und bleibt sie richtungsweisend für die Forschung. Sie ist der Sinn der Wissenschaft.“
Dieser Artikel wurde von der Universität Basel in Auftrag gegeben und bezahlt.
Sehr spannender Bericht!
Es ist einmal an der Zeit euch ein Dankeschön für eure Arbeit auszusprechen. Ich lese hier immer wieder gerne. Ihr zeigt, dass Wissenschaft spannend sein und über sich selbst reflektieren kann, um sicher zu gehen, dass sie Wissen schafft. Ihr würdet jeder Zeit 5 Sterne von mir kriegen (http://youtu.be/8Z4jt6nGVWo).
Die Wissenschaft irrt sich in der Quantenphysik gewaltig!
So wie dies heute Vorgetragen wird, funktioniert das ganze nicht!Schaut Euch doch mal meine Blog-Seite Verbinde-Netzwerke an! Struktur von Protonen und Neutronen, Gesellschaft, wirkungsvolles Team u.a.
Grüezi,
vielen Dank für die Beurteilung „spannende Wissenschaft“!
Dasselbe finde ich auch, ist enorm Spannend und ist etwas anderes als die täglichen ungelösten Probleme in der Finanzwelt und Politik! Zudem verspricht dies Erfolg für Jedermann/jede Frau!