Das Kommunikationsteam des CERN darf sichtlich stolz sein. Seine Meldung über supraschnelle Neutrinos vom vergangenen Freitag (23. September) fand sofort prominenten Eingang in sämtliche elektronischen wie auch gedruckten Medien. Und dies weltweit. Was war passiert? Bei einem Experiment rasten am CERN erzeugte Neutrino-Teilchen ein klein wenig schneller als die Lichtgeschwindigkeit über die 732 Kilometer zwischen Genf und dem italienischen Gran Sasso. Dieses Resultat entsprang einem komplizierten Versuch mit noch komplizierteren Messungen, die bisher von keiner andern Gruppe überprüft und bestätigt wurden. Die beteiligten Forscher gaben dies auch freimütig zu, doch Wissenschaft wird im heutigen Medienwettbewerb neuerdings auch ungeprüft publiziert. Ein moralischer Eckpfeiler der Forschung ist gefallen. Peer Reviews sind nicht mehr nötig, für die Öffentlichkeit sind jetzt auch ungesicherte Ergebnisse gut genug. Zumindest gilt dies für die Teilchenphysik, die damit für sich eine gewisse Narrenfreiheit beansprucht. Bei sozial enger verknüpften Disziplinen wie etwa Medizin und Biologie wäre das wohl kaum möglich. Oder bald doch?
Das CERN braucht Aufmerksamkeit, um seine Forschungsgelder einkassieren und legitimieren zu können, das Kommunikationsteam macht da einen (guten) Job – und die Medien berichten grosszügig, ungeachtet der Plausibilität der Resultate. Man erwähnte zwar manchmal die Zweifel der CERN-Forscher, doch die Bedenken gingen im Lärm der Einstein-Widerlegung unter (Titel im Blick am Abend: „Schneller als Einstein erlaubt“). Andere Medien setzten immerhin Fragezeichen, doch die „unbestätigte“ Wissenschaft kann offensichtlich überall mühelos ihren Platz in Presse, Fernsehen, Radio und Internet besetzen, wenn sie nur sensationelle „Erkenntnisse“ liefert. Geduld und Sorgfalt in der medialen Berichterstattung gelten heute als „kommunikative Ladenhüter“. Der Übergang zwischen PR und (Wissenschafts-)Journalismus ist damit noch fliessender geworden, dabei gewinnen beide Seiten: Das CERN steht herausragend im öffentlichen Rampenlicht, die Medien bekommen eine lecker-süffige „Story“. So schnell geht das. Ich jedenfalls wette eine edle Flasche Wein, dass mit dem CERN-Experiment Alberts Spezielle Relativitätstheorie nicht verletzt wird, irgendwo steckt in der Versuchsanlage und den Berechnungen ein böser Bock. Wer wettet dagegen?