Es ist zu begrüssen, dass Biologen auch in heiklen Fragen konsultiert werden. Gut also, dass sich der Neurowissenschaftler David Eagleman in der NZZ am Sonntag (31. Juli 2011) zum Gehirn des norwegischen Attentäters Anders Breivik seiner verdienten Strafe äussern durfte. Und Eagleman geht sorgfältig vor. Gehirne sind wichtig, komplex und jedes ist einzigartig. Der Neurowissenschaftler unterscheidet auch präzise die sozialen Umstände von der reinen biologischen Ausstattung des Gehirns.
Dann verlässt Eagleman die beruhigende Ordnung naturwissenschaftlicher Fakten und wagt sich in den geisteswissenschaftlichen Dschungel der Argumente. Schliesslich leitet er die „Initiative on Neuroscience and Law„, die sich mit der Umsetzung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und Gesetzgebung befasst. Trotz dieser sicherlich löblichen interdisziplinären Forschung, muss man sich fragen, welche neurowissenschaftlichen Erkenntnisse genau die Gesetzgebung beeinflussen sollen. Wie wenig differenziert diese erhoben werden, kann man hier gleich selbst versuchen.
Dazu werden im Artikel Fakten und Argumente auf der gleichen Ebene behandelt. Das Ressort „Wissen“, das Thema Gehirn und der Titel Neurowissenschaftler suggerieren Fakten. Ein grosses Bild mit Dutzenden von Gehirnströmen aufzeichnenden Elektroden suggeriert kräftig mit. Man könnte glatt vergessen, dass Strafen nicht nur zum Schutz der Gesellschaft vor dem Verurteilten dienen, sondern auch Aspekte von Abschreckung, Umerziehung und nicht zuletzt Rache beinhalten. Eagleman spricht von Normalität des Verhaltens, als handle es sich beim Aufbau eines Gehirns um eine einfach erfassbare Variable mit einem klar definierten Mittelwert. Er spricht von Abnormalität, wie wenn es eine Standartabweichung von diesem Mittelwert gäbe.
Nebst so vielen Vereinfachungen, die zum Widerspruch nur so auffordern, zitiert er zum Glück noch eine unwiderlegbare Aussage des Hirnforschers Wolf Singer: „Solange wir nicht alle Ursachen identifizieren können, sollten wir davon ausgehen, dass bei jedem eine neurobiologische Ursache für Abnormalität existiert.“ Auf deutsch: Wir sollten davon ausgehen, dass auch Kriminelle zum Denken und Handeln Hirnzellen brauchen.