Vielleicht habe ich etwas nicht richtig mitbekommen. Aber ich verstehe nur Bahnhof: Offensichtlich sind Schweizer Hochschulen beim harten Rennen um europäische Fördergelder im Rahmen von EU-Flagship-Initiativen an vorderster Front mit dabei. Es geht um Milliarden. Das ist zunächst schön und zeugt von der hohen Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Forschung. Was allerdings höchst irritierend ist, ist die fast schon naive Art und Weise, wir hier Kommunikation betrieben wird. Wohl gemerkt: Die Konsortien mit Schweizer Beteiligung haben noch keinen Eurocent Fördergelder erhalten und dennoch wird die PR-Trommel nach einer erfolgreichen Vorselektion gerührt, als sei die Welt vor dem Klimawandel gerettet oder das neueste iPad lanciert worden. Medien werden mit Mitteilungen eingedeckt, Websites werden lanciert und mit News alimentiert, etc. etc.
Als geneigter Empfänger solcher Informationen frage ich mich: Wozu das alles? Soll die Öffentlichkeit die Guardian Angels und Human Brain Projects bei einer Volkswahl unterstützen? Sollen die Entscheidgremien der EU durch eine Flut von Medienberichten in ihrem Urteil bestärkt werden, dass sie die richtige Wahl getroffen haben? Wie erkläre ich der Öffentlichkeit, wieso ein Projekt die letzte Hürde nciht geschafft hat und leer ausgeht. Wohl geht es bei diesen Projekten um hunderte von Millionen, sogar um Milliarden. Aber würde dieser Umstand nicht gebieten, eine etwas diskretere PR-Strategie zu fahren, eine die vor allem auf die Entscheidungsträger und ihre Beeinflusser abzielt und die breite Öffentlichkeit nicht ungelegte Eier ausbrüten lässt? Ich versteh, wie gesagt, nur Bahnhof. Offenbar haben auch andere gewisse Fragen, Andreas Hirstein von der NZZ am Sonntag beispielsweise. Das ist doch immerhin beruhigend.
Vielleicht sind wir aber auch in ein neues Zeitalter der Wissenschaftskommunikation eingetreten; in ein Zeitalter, in dem wissenschaftliche Projekte wie Start-Up Firmen handeln, die bei den Venture Capitalists um Finanzierung buhlen und dabei das Blaue vom Himmel versprechen müssen. Vielleicht ist das konservativ gedacht, aber für die Wissenschaft hoffe ich, dass dies nicht der Fall ist. Sonst haben wir bald ein ähnliches Problem wie die Venture Capital-Industrie: Finanziert wird dann nämlich nicht, wer gute Ideen hat, sondern vorallem, wer sich gut verkauft.
Stimmt, der Kampf um die öffentliche Meinung treibt seltsame Blüten. Siehe das schönfärberische Gutachten beim ETH-Rat zum Human Brain Project. Bei der Lektüre beschleichen mich grosse Zweifel, wie unabhängig die Verfasser sind. Chairman Gordon M. Shepherd ist mit Jahrgang 1933 auch nicht mehr der Jüngste und von den Zürcher Kritikern liest man gerade mal gar nichts. Dafür ein Selbstlob von Aebischer und Markram.
Die PR-Maschinerie der Wissenschaft läuft wahrlich rund, hingegen scheint der kritische Wissenschaftsjournalismus an Boden (sprich medialer Resonanz) zu verlieren. Die meisten Medienschaffenden haben keine Zeit und vor allem keine Ressourcen mehr, um rasch und hintergründig in einem komplexen Gebiet wie der Wissenschaftspolitik eine Geschichte zu recherchieren, zu analysieren und danach noch anschaulich zu vermitteln. Manchmal fehlt es aber auch etwas am Biss.