Rosenquarze gegen Mobilfunkstrahlung, Applaus im Kino für einen Film, der es als erwiesen darstellt, dass sich Leute ausschliesslich von Licht ernähren können, Annahme eines Verfassungsartikels zur Berücksichtigung von Medizin, die mit Astralkörpern, Meridianen oder bis zum Verschwinden verdünnten Stoffen arbeitet. Ich habe das Gefühl, dass esoterische Weltbilder zunehmend populärer werden. Eine Gesellschaft, die Wissenschaft zunehmend als böse betrachtet, bereitet mir Sorgen. Zum Glück wurde ich nun widerlegt; sowohl was die Zunahme, als auch was das Wissenschaftsfeindliche betrifft.
Volkszählung
Eine Studie der Uni Lausanne (NFP58) fand heraus, dass in der Schweiz die Anhänger esoterischer („alternativ religiöser“) Weltbilder rund 10% der Bevölkerung ausmachen. Die Studie teilt die Menschen in „Institutionell Religiöse“ (die in der Kirche fest verankert sind), „Alternativ Religiöse“ (die ihre Spiritualität individuell ausleben), „Säkulare“ (ohne Religion und Glauben) und „Distanziert Religiöse“ (die grosse Mehrheit von über 60%, die sich irgendwo zwischen den Polen aufhält).
Die Autoren um Soziologieprofessor Jörg Stolz meinen, dass der Anteil der „Alternativ Religiösen“ nicht steigt. Besonders viele gibt es unter den 40 bis 50‑jährigen, doch die Jungen scheint Esoterik weniger zu begeistern. Da sich die religiöse Einstellung sich im Laufe eines Menschenlebens wenig ändert, wird es in Zukunft also nicht mehr „Alternativ Religiöse“ geben. Aha, ein 68er Phänomen!
Die Autoren stellen weiter fest, dass es der Anteil der Menschen mit esoterischen Vorstellungen und Praktiken nicht zugenommen hat. Trotzdem geht ihre Zahl weit über die Kategorie der „Alternativ Religiösen“ hinaus. Es sind beinahe 50%, die es für sicher oder wahrscheinlich richtig halten, dass „manche Wunderheiler tatsächlich über übernatürliche Heilkräfte verfügen, die sie von Gott bekommen haben.“ Über 30% waren es bei: „Es gibt Wahrsager, die die Zukunft wirklich voraussehen können.“ Nachdem ich diese beiden Zahlen gesehen habe, muss ich mich wohl auch zu den über 40% zählen, die glauben: „Das Sternzeichen bzw. das Geburtshoroskop eines Menschen kann einen Einfluss auf den Verlauf seines Lebens haben.“ Nicht weil ich an die Macht der Sterne über meine Liebe, Arbeit oder Finanzen glaube, sondern weil ich an die Macht der Mitmenschen glaube, die an die Macht der Sterne glauben. Darunter sind selbstverständlich auch Partnerinnen, Personalverantwortliche und Anlageexperten.
Wie kommt es dazu? Fehlt es an Bildung? Wohl kaum, denn Esoterik spricht vor allem Leute mit höherer Bildung an (über 50% von ihnen haben eine Matura), während die drei anderen Glaubenstypen jeweils nur etwas über 30% Maturanden haben. Das wirft ein schlechtes Bild auf die Mittelschulen und Universitäten. Sie scheinen die wissenschaftliche Methode nicht überzeugend vermittelt zu haben. Aber vielleicht ist es ja umgekehrt, dass wahllose Spiritualität hilft Prüfungen zu bestehen. Oder die Glücksbringer haben tatsächlich etwas gebracht…
Innenleben
Etwas spezifischer hat sich letztes Jahr eine Dissertation an der Uni Bern mit Wissenschaft und Esoterik befasst. Ein guter Bericht dazu in der UniPress Bern. Der Autor und Religionswissenschaftler Stefan Rademacher beschreibt die Esoteriker nicht als Mitläufer, die irgendwelchen Gurus mit abstrusen Theorien nachplappern. Im Gegenteil, der alternative Glaube der Esoteriker ist hoch individualisiert. Es sind spirituelle Anarchisten. Esoterik ist im Gegensatz zu konventioneller Religion nicht institutionalisiert, sondern spielt sich auf dem esoterischen Büchermarkt ab. Die Gurus schreiben Bücher für die Esoterikbuchläden (ein Beispiel).
Was die Leser dieser Literatur ausmacht, ist, dass sie sich frei bedienen und wissenschaftliche Erkenntnisse, Thesen der Esoterik Gurus und traditionell religiöse Inhalte auf die gleiche Ebene stellen. Ihnen gemeinsam ist der Glaube, durch die ganz persönliche Erfahrung zu einer für alle jederzeit zugänglichen Wahrheit zu gelangen. Sie denken gesamtheitlich, kulturell übergreifend und naturverbunden und bezeichnen ihren Glauben als Wissen. Wissenschaftler streben ihnen zufolge das gleiche Wissen an, sie machen es aber, aus Esoteriker Sicht, auf eine erdenklich lebensferne Art. Rademacher beobachtet bei den Esoterikern eine Art religiösen Glauben an wissenschaftliche Konzepte wie Energien, Quanten und Tachyonen.
Es fehlt ihnen das Verständnis für die wissenschaftliche Methode (vor allem der Falsifikation) und sie wählen daher selektiv aus, welche Wissenschaft die gute ist (die eigene Ansicht bestätigt) und welche die schlechte ist (den eigenen Überzeugungen widerspricht). Allerdings unterscheiden sie sich darin nicht vom Rest der Welt. Es sind einfach normale Laien, die zwar hoch spirituell sind, sich aber nicht religiösen oder wissenschaftlichen Zwängen unterordnen möchten. Anstatt als wissenschaftsfeindlich müsste ich sie wohl eher als wissenschaftsignorant bezeichnen.
Auftrag
Ich sehe genau hier den Auftrag an die Wissenschaftsjournalisten und Lehrer. Anstatt sich auf das Wissen zu fixieren, sollte die Methode der Wissenserarbeitung viel mehr in den Vordergrund gerückt werden. Es geht weniger darum, ob Rotwein trinken gesund oder schädlich ist, ob Kinder streng oder zur Selbstentfaltung erzogen werden müssen oder ob Atomkraftwerke sicher sind oder nicht. Wenn die aufgeklärte Meinungsbildung des Bürgers das Motto sein soll, dann sollte es eine grössere Rolle spielen, wie Resultate und Schlussfolgerungen zustande kamen. Es geht nicht um Wissen sondern um Wissenschaft.
Hey Florian, danke fuer den Beitrag. Deinen Aufruf wissenschaftliche Methodik den Menschen zu verstehen zu geben begruesse ich ueberaus. Jedoch machst du in deiner Argumentation einen Fehler der viele Wissenschaftler machen: du blendest aus, dass viele Menschen esoterische Erfahrungen machen, die sie nicht leugnen koennen.
Mit anderen Worten, wenn durch Handauflegen Entzuendungen gelindert werden, dann kann man das als Wissenschaftler nicht leugnen. Viel eher, sollte man das als Experiment verstehen. Natuerlich kann der enzuendungshemmende Effekt auf Uhrsachen zurueckzufuehren sein, die mit dem Handauflegen direkt nichts zu tun haben (z.B. Plazebo Effekt oder psychische Wahrnehmungsveraenderung). Jedoch, und dies ist wirklich wichtig, sollte der Wissenschaftler nie etwas verneinen, nur weil er es versteht.
Denn Einstein hatte auch vieles vorhergesagt, dass wir erst viele Jahre spaeter nachvollziehenn konnten.
Nein, wir sollten nach wissenschaftlichern Erklaerungen suchen. Eine solche These koennte z.B. beim Handauflegen lauten: Durch das gezielte Stimmulieren der eigenen Nerven werden elektromagnetische Impulse erzeugt, die direkt auf das Nervensystem des Patienten wirken. Dadurch kann ein permanenter Schmerzimpuls unterdrueckt bzw. ausgeloescht werden, gemaess den Gesetzen der Superimposition zweier eletromagnetischer Felder.
Hat die Wissenschaft einmal eine solche These aufgestellt, kann sie jetzt geprueft werden. Dabei gilt, dass die These solange stand haelt, bis sie a) wiederlegt wird oder aber b) durch eine einfachere, bessere These abgeloest wird.
Schliesslich gilt das einfache Gesetz: Wenn wir etwas nicht messen koennen, heisst das noch lange nicht, dass es nicht existiert. Sonst haetten die Gesetze der Quantenmechanik erst im 20igsten Jahrhundert ihre Gueltikeit und nicht schon beim Urknall.
Kurz, wissenschaftliche Methodik beinhaltet gerade das studieren von Phaenomenen, die wir nicht verstehen. Dazu gehoert eben auch die Esotherik, bzw. Phaenomene die mit eseotherischen Theorien erklaert werden.
Adrian, du hast Recht, ich blende die persönlichen Erfahrungen von Menschen aus – auch meine eigenen. Ich mache das, weil ich weiss, dass meine Erfahrungen mich oft täuschen. Optische Täuschungen sind ein schönes Beispiel dafür. Zum Beispiel diese: http://www.youtube.com/watch?v=U4tFVR1Xhgs
Persönliche Erfahrungen entziehen sich deshalb der wissenschaftlichen Untersuchung. Aber wieder hast du Recht, man kann die Menschen Untersuchen, die gerade eine persönliche machen. Das ist aber etwas anderes, als die persönliche Erfahrung selbst zu untersuchen.
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