Orange statt Apfelsine, Glace statt Eis, Trottoir statt Gehsteig: Hans Bickel vom Deutschen Seminar der Universität Basel thematisierte gleich zu Beginn der Veranstaltung ein oft diskutiertes Phänomen. „Viele Schweizer haben ein verkrampftes Verhältnis zum Hochdeutschen. Dies liegt daran, dass sie Hochdeutsch als Fremdsprache betrachten und entsprechend verunsichert sind“, so der Sprachwissenschaftler. Fälschlicherweise werde das schweizerische Hochdeutsch stets als minderwertige Version des Hochdeutschen betrachtet. Dabei, so Bickel, handle es sich dabei nicht die schlechte Imitation einer Fremdsprache, sondern um eine eigene Sprache mit eigener Gültigkeit. Und diese erfülle eine wichtige soziale Funktion, da sie Nähe und Vertrautheit aber auch Ausdrucksstärke und Authentizität erzeuge. „Wir müssen uns unseres Hochdeutschs nicht schämen. Es handelt sich dabei um eine Varietät, die wir mit Selbstbewusstsein sprechen dürfen. Es darf so tönen, wie es eben tönen muss“, betonte Bickel. Die ebenfalls anwesende Annelies Häcki Buhofer stimmte zu. Nicht nur die Eigenheit der schweizerischen Hochdeutschs, auch regionale Dialekte seien wichtig, beschrieb die Professorin für Deutsche Sprachwissenschaft, und referierte im Folgenden über den Facettenreichtum der verschiedenen Dialekte. Im Baseldeutsch etwa würden schon nur die verschiedenen Personenbezeichnungen genügend Stoff für ein Kabarett liefern. „Bleichmuus“ bezeichne beispielsweise eine bleiche Person, „Arschgutzi“ einen blöden Menschen, „Stürmi“ jemanden Aufdringlichen. „Tendieren wir durch zunehmende Mobilität und Medialisierung nicht zu einer Verflachung und Vereinheitlichung der Sprache?“, wollte ein Zuhörer an dieser Stelle wissen. Die Sorge, dass die Dialekte durch die Globalisierung verloren gingen, werde oft geäussert, bejahte Buhofer. Jedoch seien insbesondere dialektspezifische Worte sehr langlebig. „Sie haben aber schon Recht“, stimmte Hans Bickel dem Zuhörer zu. „Die Kommunikationsräume haben sich verändert. Früher ist man mit weniger Dialekten in Berührung gekommen. Heute sind die Grenzen offen und die Räume weit.“ Insbesondere die Neuen Medien haben diesen Strukturwandel herbeigeführt. Doch hat die Kommunikation in den Neuen Medien tatsächlich Auswirkungen auf unsere Sprache? Sarah Brommer vom Deutschen Seminar der Universität Zürich ist Expertin auf diesem Gebiet. In einem Forschungsprojekt untersuchte sie mit ihrem Team die Auswirkungen der Neuen Medien auf die Schreibkompetenz der Jugendlichen. Fazit? Es gibt keine. Das Forschungsteam untersuchte elektronische Freizeittexte, etwa SMS oder Mails, und Schulaufsätze. „In den Freizeittexten zeigte sich, dass die Jugend im Umgang mit der Sprache extrem kreativ ist und mit den Möglichkeiten der Verschriftlichung spielt.“ So seien etwa Smileys in allen Varianten anzutreffen, Abkürzungen wie „wmh“ für „was machst du heute“, oder Inflektive wie *freu*. In den Schulaufsätzen hingegen treffe man diese Spielereien nicht an, beschrieb die Wissenschaftlerin. In 350 Aufsätzen seien beispielsweise nur gerade 12 Smileys vorgekommen. Von einer Verschlechterung oder Verrohung der Sprache könne also nicht die Rede sein. „Was wir erleben ist nicht ein Wandel hin zum Guten oder Schlechten, sondern schlicht eine Verschiebung der Kompetenzen. Früher waren die Jugendlichen besser in der Orthografie, heute dafür in der Argumentation und der Gedankenleistung.“
Dez. 15th, 2010 by Rahel Walser | No Comments »
Mangelnde Sprachkompetenz, Vereinheitlichung und Zerfall der regionalen Dialekte, Sprachverrohung – der Diskurs um Entwicklung und Wandel der Sprache ist meist von einem pessimistischen Grundtenor geprägt. Doch wie steht es wirklich um die deutsche Sprache? Am Café Scientifique vom 12. Dezember 2010 sprachen drei Experten über Vorurteile und Unwahrheiten in ihren jeweiligen Forschungsgebieten und zeigten deren vielschichtigen Facetten und Potenziale auf.
Die Experten waren sich also einig: Der Wandel der Sprache führt nicht zu deren Zerfall, Abwertung oder Vereinheitlichung, sondern ist notwendig und produktiv. „Die Sprache ist nicht etwas Artifizielles, welches es in seiner Reinheit zu bewahren gilt. Sondern die Sprache ist Mittel zum Zweck, sie muss uns helfen, den Alltag zu bewältigen. Dabei ist es normal, dass sie sich anpasst und verändert“, beschrieb Buhofer abschliessend. Bickel nickte und ergänzte, dass die Sprache nicht in Stein gemeisselt sein könne. „Sie wird jeden Tag neu gemacht, nur dadurch kann sie existieren. Vielfalt, Veränderung und auch Fehler gehören dabei dazu.“
Einverstanden?
Hier kommt nichts mehr Neues