Laien falten erfolgreich Proteine
Der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow verlor 1996 zum ersten
Mal eine offizielle Schachpartie gegen Deep Blue – einen Computer. Die
Vorstellung, dass der Mensch den Maschinen grundsätzlich überlegen
sei, ging damit verloren.
Neue Forschungsergebnisse aus der Biochemie rollen das Feld aber
noch einmal neu auf. Menschen, genauer Computerspieler, leisteten
einen grossen Beitrag zur Erforschung von Proteinen und wurden dafür
sogar in die Autorenliste der wissenschaftlichen Publikation
aufgenommen. Eine Neuigkeit in der Wissenschaft.
Unser Körper besteht zu einem grossen Teil aus Proteinen. Diese sind
verantwortlich für den Körperbau, die Übermittlung von Signalen und
die biochemischen Reaktionen. Um zu verstehen, wie die winzigen
Proteine diese Funktionen erfüllen können, muss ihre genaue Struktur
bestimmt werden.
Rechnen ist billiger als Experimentieren
Ein Protein besteht aus einer Kette von Aminosäuren, deren Sequenz
heute relativ leicht aus den Genen gelesen werden kann. Doch die
Sequenzinformation reicht nicht, um die Funktion des Proteins zu
verstehen. Was fehlt, ist die Form des Proteins, die durch die Faltung
der Aminosäurenkette bestimmt wird und die ist nur sehr mühsam zu
erhalten. In monatelanger, teurer Arbeit kann die Faltung
experimentell bestimmt werden. Die Motivation ist deshalb gross, die
Faltung aus der Aminosäurensequenz mit Computern zu berechnen.
„Der Grund für die Schwierigkeiten ist, dass es so viele mögliche
Anordnungen gibt“, sagt David Baker, Professor für Biochemie an der
Universität Washington, gegenüber der Fachzeitschrift Nature. Selbst
die grössten Supercomputer können nicht alle möglichen Faltungen
durchrechnen, um an die richtige, in der Natur vorhandene Faltung
heranzukommen.
Die Berechnung der Form eines Proteins alleine aus seiner
Aminosäurensequenz ist eines der grossen, ungelösten Probleme der
Biochemie. Genau da kamen die Computerspieler zum Einsatz. Sie konnten
am Bildschirm einzelne Faltungen ausprobieren, um so den
Supercomputern mit menschlichem Strategiedenken unter die Arme zu
greifen.
Das Computerspiel Foldit kann jeder herunterladen und ist selbst für
Kinder zu verstehen. In kleinen Lernsequenzen können sich alle das
nötige Grundwissen spielerisch aneignen. Nach der Einführung können
sich die Spieler dann an neue Proteine heranwagen, deren Faltung
bekannt, aber noch nicht veröffentlicht ist.
Der Punktestand motiviert
Im Wettstreit mit den anderen Spielern rund um den Globus können die
Proteine mit der Maus korrekt gefaltet werden. „Wenn man es richtig
gemacht hat, dann sieht man wie sich das Protein bewegt und die Form
sich verändert; die Punkte schnellen in die Höhe und der eigene
Spielername rast durch die Ränge nach oben; dann kommt das Adrenalin“,
schwärmt eine Spielern. Für die Wissenschaftler zählt wie genau die
erspielte Faltung der natürlichen entspricht; für die Computerspieler
zählt wie hoch ihr Punktestand ist.
Der kürzlich in der Fachzeitschrift Nature erschienene Artikel zeigt,
dass die Spieler den Supercomputer in den meisten Fällen geschlagen
haben. Baker, Mitautor des Artikels, macht dafür gegenüber Nature drei
typisch menschliche Qualitäten verantwortlich: eine ausgezeichnete
räumliche Wahrnehmung, die Fähigkeit kurzzeitig strategische Risiken
einzugehen und die frühzeitige Erkenntnis davon, ob man in einer
Sackgasse angelangt ist.
Diese Fähigkeiten möchte David Baker nutzen: „Da draussen ist eine
unglaubliche Menge an menschlicher Rechenleistung, aus der wir Kapital
schlagen möchten.“ Schlussendlich sollten die menschlichen Lösungswege
die Computerstrategien inspirieren, damit in Zukunft Proteinfaltungen
besser und schneller automatisch errechnet werden können. Ein
Mitspieler formuliert es so: „Das Paradox von Computer gegen Mensch
ist, dass wir uns eigentlich selbst aus dem Spiel falten.“
Originalartikel: Nature 466, 756-760
Video: NatureVideoChannel
tolle idee!