Das Thema „Afrika“ ist momentan omnipräsent – in Zeitungen, Werbungen, dem Fernsehen, Restaurants, kulturellen Veranstaltungen – die Liste liesse sich noch lange fortführen. Und auch das Café Scientifique vom 13. Juni setzte sich mit dem Thema auseinander. In einem Punkt unterschied sich die Veranstaltung jedoch von den meisten anderen: Es ging nicht um Fussball.
Oder zumindest nur indirekt. Indirekt, weil sich am Café Scientifique zu Afrika gerade wegen der Afrika-Euphorie weniger Leute als üblich zusammen fanden. Dies, weil auf dem Kontinent zeitgleich das WM-Spiel Ghana gegen Serbien stattfand. Und so setzten sich viele Leute zwar ebenfalls mit Afrika auseinander – jedoch zu Hause vor dem Fernseher.
All jene, welche den Weg trotzdem zum Café Scientifique gefunden hatten, begrüsste Dr. Didier Péclard, Politikwissenschaftler von Swisspeace, mit der niederschmetternden Aussage: „Wir behandeln heute ein unmögliches Thema!“ Unmöglich, weil schlicht zu gross und vielfältig wie der Kontinent selbst. Und doch sei es gerade deswegen wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Das Bild, welches Aussenstehende von Afrika haben, sei noch immer sehr stark von Klischees und stereotypen Bildern geprägt, so Péclard. Beispielsweise würde Afrika oft als Kontinent der Bauern bezeichnet – dies, obwohl Afrika die höchste Urbanisierungsrate der Welt habe. Die vielen Vorurteile gegenüber dem Kontinent zeigten, dass Afrika nicht Subjekt, sondern Objekt seiner Geschichte sei. Wichtig sei es, Vorurteile zu reflektieren und zu hinterfragen. Lucy Koechlin stimmte zu Beginn ihres anschliessenden Vortrags zu. „In meinem Beitrag soll es deswegen darum gehen, einem Klischee auf den Zahn zu fühlen“, erklärte die Soziologin und führte in das Thema Korruption in Afrika ein. Um das Klischee des korrupten Afrikas zu relativieren, reichte sie eine Korruptions-Perzeptions-Karte im Publikum umher. Diese zeigte auf, in welchen Ländern der Welt Korruption wie stark wahrgenommen wird. Ein Blick auf die Karte genügte, um schnell zu erkennen: Korruptionsfreie Länder gibt es so gut wie gar nicht. Afrika steht mit dieser Problematik also nicht alleine da. Trotzdem stellt sich die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass die Korruption zu einem der zentralen Probleme des Kontinents wurde. Die Expertin für Korruptionsbekämpfung erklärte, dass Afrika in den letzten Jahren massive strukturelle Veränderungen durchgemacht habe. Beispielsweise habe sich Tansania, wo Koechlin selbst einige Zeit gelebt hatte, innerhalb eines Jahrzehnts von einem armen sozialistischen zu einem wirtschaftlich liberalisierten Staat gewandelt. Plötzlich seien viele Investitions- und Entwicklungsgelder geflossen und dies, ohne dass eine Aufsichtsbehörde existierte, welche sich darum kümmern konnte. „Die Gelder flossen in ein institutionelles Vakuum“, so Koechlin. In diesem Zustand relativer Straflosigkeit habe sich eine Kultur der Korruption etabliert. Die Konsequenzen seinen schwerwiegend. „Durch Korruption wird der Zugang zu politischen oder wirtschaftlichen Chancen privatisiert, sowie bestehende soziale Ungleichheiten zementiert“, führte die Soziologin aus. Trotz dieser problematischen Strukturen ist Koechlin jedoch optimistisch: „Afrika ist gerade erst seit 50 Jahren unabhängig. Was der Kontinent braucht ist Zeit, Geduld und Milde!“
Damit übergab sie an den dritten Referenten: Prof. Elisio Macamo vom Zentrum für Afrikastudien der Universität Basel. Der Risikosoziologe nahm sich seinen Forschungsschwerpunkt zu Herzen und erklärte zur Begrüssung: „Ich möchte gleich selbst ein Risiko eingehen – das Risiko, falsch verstanden zu werden.“ Der gebürtige Mocambiquaner hielt nämlich keinen Vortrag, er erzählte – wie es in Afrika sehr beliebt sei – eine Geschichte. Diese handelte von einem Zirkusaffen, welcher ausserhalb des Zirkus erstmals einen Fisch in einem Fluss entdeckt. Er holt den Fisch aus dem Wasser, in der Meinung diesen zu retten. Das Zappeln des Fisches deutet er als dessen Freude. Und auch als der Fisch sich nicht mehr bewegt, weil er gestorben ist, erkennt der Affe den Grund dafür nicht. „Der Affe ist enttäuscht und denkt sich ‚Wäre ich fünf Minuten früher gekommen, hätte ich den Fisch noch retten können’“, schloss Macamo die Erzählung. Mit ruhiger und leiser Stimme sprach er weiter und verdeutlichte anhand seiner Geschichte, dass andere Länder oder Nicht-Regierungs-Organisationen seinem Heimatland zwar helfen können, aber nur wenn sie dessen Eigenheit und Selbstverständnis berücksichtigen. „Es gibt viele verschiedene Geschichten und nicht ein Drehbuch für alle“, beendete Macamo seine Rede.
„Was ist es denn, was Sie von uns wollen?“, erwiderte eine Zuhörerin aus dem Publikum. Der Ernsthaftigkeit des Themas zum Trotz antwortete der Soziologe: „Als Fussball liebender Mensch würde ich mir wünschen, dass ihr Schweizer uns viele tausende Alphörner nach Afrika schickt, damit wir die afrikanischen Tröten, die Vuvuzelas’, nicht mehr hören müssen.“
Und so zeigt sich – obwohl die Veranstalter bei der Planung des Cafés noch nichts von der WM in Südafrika gewusst hatten: Will man momentan über Afrika reden, muss man auch über Fussball reden.
Ach ja, übrigens: Das Spiel endete 1:0 für Ghana.