Willkommen auf der Erde! Geschaffen vom „Venter Capital“, hat deine Geburt niemand verpasst. Dabei siehst du ja deinen Myco-Kollegen zum Verwechseln ähnlich. Manche nennen dich künstlich, synthetisch. Dabei ist jeder Mensch mit einem Zahnimplantat synthetischer als du. Weshalb also versetzt du uns derart in Wallungen?
Gut, wenn das Venter Capital spricht, wallt es immer. Manche nennen dich Meilenstein. Aber Meilensteine gibt es ja jede Meile – du scheinst mehr. Die Venter Capitalisten behaupten, du führest unweigerlich zu wichtigen Anwendungen und Produkten wie Biotreibstoffen, Impfstoffen, Medikamenten, sauberem Wasser und Lebensmitteln. Du scheinst ja richtig was vorzuhaben.
Die Frage ist nur: Was haben die hehren Ziele mit dir zu tun? Weshalb versucht Venter nicht einfach als Chemiker oder als Ingenieur die Welt zu retten? Weshalb braucht er ein Lebewesen und weshalb ein künstliches?
Liebes Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0, du wirst als neuestes Produkt der so genannten Synthetischen Biologie angesehen. Die Synthetische Biologie ist die Kulmination einer Entwicklung in der Biologie, die nicht mehr die Natur, das Leben verstehen möchte, sondern welche die Natur als gigantischen Werkzeugkasten betrachtet. Ein Craig Venter ging weltweit aus Ozeanen Bakterien fischen, um Werkzeuge für alles Mögliche zu finden. Die Synthetische Biologie ist deshalb auch die Kulmination der Ökonomisierung der Biologie – das Verstehen von Naturvorgängen ist nur eine Etappe auf dem Weg zum Produkt. (Diese Etappen werden dabei gerne hervorgehoben – dem neuen Erdenbürger wurde dazu das Richard Feynman Zitat ins Erbgut graviert: „WHAT I CANNOT BUILD, I CANNOT UNDERSTAND.“)
Die Synthetische Biologie ist aber auch eine Verneigung vor der Natur. Die Venter Capitalisten gehen davon aus, dass die Natur in den Milliarden von Jahren an Evolution brauchbare Lösungen gefunden hat. Sie sind deshalb nicht Chemiker oder Ingenieure, weil sie glauben, dass es für viele Anwendungen in der Ökologie oder der Medizin Lebewesen braucht, die für uns arbeiten. Du, liebes Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0, bist dabei weniger ein künstliches Lebewesen, als ein entrümpeltes. Durch das Entsorgen von „unnötigen“ Genen sollst du dich besser auf die dir künftig zugewiesenen Aufgaben konzentrieren können. Dies macht aus Ingenieurssicht natürlich Sinn und solche Lebewesen sind dadurch kontrollierbarer und die Anwendung sicherer als mit natürlichen Verwandten.
Manche Forschende im Gebiet der Synthetischen Biologie (längst nicht alle!) denken noch in anderen Sphären. Sie sehen sich nicht nur als Ingenieure mit biologischen Werkzeugen. Für sie ist Technologie generell die Fortsetzung der natürlichen Evolution (bzw. diese Trennung ist für sie hinfällig). Und so wie Bakterien für bestimmte Aufgaben verbessert werden müssen, so gilt dies auch für den Menschen. Die Synthetische Biologie hat dabei die Rolle, das Leben auf diese Verschmelzung vorzubereiten. Ihnen bist du, liebes Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0, besonders wichtig, als Symbol.
Liebes Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0, Craig Venter hat gesagt, du seist das erste Lebewesen, dessen Eltern ein Computer sei. Gut möglich, dass deine (geistigen) Kindeskinder wieder irgendwelche Rechenmaschinen sind.