„Kommen Sie nur herein, es gibt noch ein paar Stühle“, ruft Michael Kessler, Leiter des Pharmazie-Historischen Museums, und trägt noch einen Stapel Stühle in den bereits sehr gut besetzten Hörsaal des Museums. „Das ist ja wahnsinnig“, raunt daneben eine Dame, welche bei der Eingangstür steht und verzweifelt versucht, sich einen Weg in den Raum hinein zu bahnen. Das Thema des letzten Café Scientifique des Herbstsemesters 2009 scheint zu interessieren: Die Veranstaltung mit dem Titel Neurowissenschaften: Unser Gehirn beobachtet – und in Stand gesetzt? war bis auf den letzten (Steh-)Platz gefüllt.
Den Auftakt machte Professor Christoph Stippich, Leiter der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie am Universitätsspital Basel. „Die meisten Menschen denken bei Neurochirurgie an grosse unheimliche Maschinen und Apparate, in welche Menschen hineingeschoben werden“, eröffnete der Radiologe seinen Vortrag. „Es steckt aber mehr dahinter. Ich möchte Ihnen heute die diagnostische Seite der Neurochirurgie näher bringen.“ Stippich ist Spezialist in der Anwendung bildgebender Verfahren in der Neurochirurgie. Dank solcher Verfahren können unter anderem Hirnfunktionen dargestellt werden. Zum Beispiel sind diejenigen Bereiche des Gehirns, welche aktiv sind, stärker durchblutet. Das macht man sich für Messungen zunutze. So kann beispielsweise angezeigt werden, welcher Bereich aktiviert wird, wenn ein Mensch den kleinen Zeh bewegt oder spricht. Dies kann helfen, Hirntumore so zu operieren, dass möglichst wenig beschädigt wird.
„Durch die neuen Technologien werden beinahe grenzenlose Möglichkeiten eröffnet“, bestätigte der anschliessende Referent, Professor Hans Landolt, Chefarzt für Neurochirurgie am Kantonsspital Aarau, und veranschaulichte seine Aussage mit eindrücklichem Bildmaterial: In einer Bildabfolge zeigte der Arzt, wie ein Hirntumor Schritt für Schritt entfernt werden kann. Dies dank intraoperativer Magnet-Resonanz-Bilder, welche während der Operation live aufzeigen, wie es im Hirn aussieht. Bei einer Tumor-Operation müsse man jedoch nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch die Biografie des Patienten, dessen Kultur und dessen Wille berücksichtigen. „Die Neurochirurgie stellt eine Gratwanderung dar“, erklärte der Spezialist. „Es muss abgewogen werden zwischen Notwendigkeit der Operation, Risiko für den Patienten und Fähigkeit des Operateurs.“
Als dritter Vortragender führte Dr. Ethan Taub, Oberarzt für Neurochirurgie am Universitätsspital Basel, in das Thema der tiefen Hirnstimulationen ein. „Es handelt sich hierbei um einen spezialisierten Teilbereich der Neurochirurgie. Ich werde mehr auslassen müssen, als dass ich erklären kann“, meinte der Neurologe schmunzelnd und wies damit auf die Komplexität der Thematik hin. Häufigster Anwendungsbereich der DBS (Deep Brain Stimulation) sind Bewegungsstörungen, wie sie beispielsweise bei Parkinson-Erkrankungen auftreten. Die Krankheit entsteht durch die Überaktivität kleiner Kerngebiete im Gehirn und die gleichzeitige Unteraktivität anderer Hirnbereiche. Früher behandelte man dies durch die Zerstörung von Hirngewebe, um der Überaktivität entgegenzuwirken. „Man verkohlte das Gewebe einfach. Logischerweise war es dann nicht mehr aktiv“, erklärte Dr. Taub. „Die unerwünschten Nebeneffekte waren also beträchtlich. „Kaputt ging jeweils viel mehr, als gewollt war.“ Heute hat man bessere Methoden. Durch die Betäubung des Hirngewebes mit unschädlichem Strom können die Hirnstrukturen quasi ‚heruntergefahren‘ werden, so der Experte. „Sie können sich das vorstellen wie bei einem zu lauten Radio. Früher machte man das Radio kaputt, heute drehen wir die Musik einfach leiser.“ Wie aber gelangt eine solche Elektrode, welche die Stromschläge aussendet, in das Gehirn eines Menschen? Dr. Taub führte dem beeindruckten Publikum einen kurzen Videofilm einer seiner Operationen vor, in welcher einem Parkinson-Patienten eine Elektrode eingesetzt wird. „Der Patient muss bei der Operation wach sein, damit wir erkennen können, wann wir am richtigen Ort sind, um die permanente Simulations-Elektrode einzusetzen.“ Und tatsächlich: die starken Tremore des Patienten auf dem OP-Tisch hören augenblicklich auf, als die Elektrode eingesetzt wird. „Dies ist für uns die inoperative Bestätigung, dass alles stimmt.“ Das Publikum staunte, war jedoch auch leicht irritiert: „Wie ist es möglich, dass die Patienten während der Operation wach sind? Die Schmerzen müssen doch unerträglich sein?“, fragte eine erstaunte Zuhörerin. Dr. Taub lachte und beruhigte. „So komisch es auch klingen mag: Das Gehirn selbst ist nicht schmerzempfindlich. Es tut nicht weh, wenn wir eine Elektrode einführen. Lediglich der Schnitt und das Bohren des Loches schmerzen. Dagegen bekommen die Patienten eine Lokalanästhesie.“
Der Erfolg der Behandlungsmethode sei sehr hoch. So hoch, dass man inzwischen nach weiteren Indikationen suche, bei welchen das Verfahren ebenfalls angewandt werden könne. So gäbe es beispielweise Untersuchungen, ob die tiefen Hirnstimulationen auch Patienten mit Depressionen helfen könnten, führte der Neurochirurge weiter aus. „Auch Depressive haben überaktive Areale im Gehirn.“
„Wie sieht es aus mit Suchtkrankheiten? Kann das Verfahren auch da helfen?“, kam an dieser Stelle die Frage aus dem Publikum. „Es gibt tatsächlich Studien aus China zu diesem Thema“, antwortete Dr. Taub, „ich persönlich denke jedoch, dass invasive Verfahren nicht psychotherapeutische Behandlungen ersetzen sollten. Solche schweren Eingriffe sollten nur da gemacht werden, wo sie wirklich notwendig sind.“
Kaum war die Frage beantwortet, schossen in dem offensichtlich angetanen Publikum sofort weitere Arme in die Höhe. Alle Beiträge lassen durchblicken, wie beeindruckt und interessiert die Zuhörer bezüglich des zukunftträchtigen und spannenden Themas sind. Und so hat das Café Scientifique das Thema des Nachmittags nicht nur behandelt sondern auch gleich selbst umgesetzt: Das Gehirn in Stand gesetzt? Definitiv!