Weit und breit wundert sich die Medienlandschaft: Hat das BAG über’s Ziel hinausgeschossen mit seiner Kommunikation zur Schweinegrippe? Sind wir alle Opfer eines weltweiten Komplotts von WHO, Pharmaindustrie und ihrer Erfüllungsgehilfen? Warum wollte sich niemand impfen lassen?
Zunächst einmal muss ich das BAG in Schutz nehmen. Man konnte aus Sicht der Pandemievorsorge nicht vorhersagen, wann, in welchem Ausmass und mit welcher Heftigkeit das H1N1-Virus zu uns kommen würde. Das Schreckensszenario eines mutierten, gefährlichen Virus galt es ebenso zu berücksichtigen. In diesem Sinne hat das BAG richtig gehandelt und sich für den maximalen Schutz der Bevölkerung vor dem schlimmsten anzunehmenden Szenario vorbereitet. Die Aufklärungskampagne mit Schlatter und Co. wurde innert kürzester Frist realisiert und umgesetzt. Auch das war eine reife Leistung. Nur was danach kam, stiftete mehr Verwirrung als Sicherheit: Währenddem in den Zürcher Schulen bereits nach den Sommerferien die Alarmglocken grundlos läuteten und die Kinder sämtliche Vorsichtsmass umzusetzen hatten, wartete man in anderen Kantonen noch auf die Pandemie. Dass es bei Zulassung und Verteilung der Impfungen zu Pannen kam, war ebenfalls wenig hilfreich. Der Impfempfehlung folgten nebst den Risikopersonen nur wenige und das Pflegepersonal zeigte sich gewohnt impfmüde. Und nun auch noch das: Die Pandemiewelle ebbt ab. Das Katastrophenszenario ist und ist einfach nicht eingetreten. Statt uns zu freuen, fallen die Medien über die Exponenten der Öffentlichen Gesundheit her.
Wie auch immer. Es lassen sich schon jetzt Schlüsse ziehen:
1. Während die Behörden bei Bund und Kantonen den Schutz der Bevölkerung im Blickwinkel hatten, hatten die Adressaten (die Bevölkerung) nur sich selbst im Visier. Wieso soll ich mich impfen, wenn die Krankheit gar nicht so schlimm ist? Argumente der Public Health und der Solidarität verfangen nicht. Dass dies sogar das Pflegepersonal so sieht, ist bitter. Es zeigt aber auch, dass bei künftigen Kampagnen die Individualperspektive stärker berücksichtigt werden sollte.
2. Mit Impfmüdigkeit hat die Reaktion der Bevölkerung auf den Impfaufruf nichts zu tun, eher mit vernünftigem Handeln aus einer persönlichen Perspektive. Wenn nämlich die Grippe wesentlich heftiger gewesen wäre oder es sich um ein Virus wie HIV oder Pocken handeln würde, läge die Impfbereitschaft flux bei über 80%.
3. Die Geschichte von H1N1 bot ein wunderbarer Nährboden für alle Impfgegner, -kritiker und Verschwörungstheoretiker. Die Mails, die ich zeitweise zugesandt bekam, und die sich samt und sonders mit abstrusen Theorien befassten, verweisen darauf, dass die Behörden und die Medizin in diesem Jahr nochmals an Glaubwürdigkeit verloren haben. Wenn UFO-Gläubige glaubwürdiger scheinen als die Wissenschaft und die Behörden, die diese umsetzen, dann haben wir ein massives Problem. Ich kann noch nicht abschätzen, wie gross dieses Problem ist, aber es ängstigt mich, weil ich befürchte, dass uns das Koordinatensystem nach und nach verloren geht.
4. Dass punkto Glaubwürdigkeit ein grosser Nachholbedarf besteht, scheint mir unbestritten. Und wenn jetzt nicht reagiert wird, haben wir ein gravierendes Problem spätestens dann, wenn eine gefährliche Pandemie wirklich vor der Türe steht. Das Problem kenne wir noch aus der Märchenstunde und wird im Märchen: Der Schafhirte und der Wolf erzählt.
Angst vor X schüren. Abhilfe für X verkaufen.
Ein altbewährtes Instrument der Werbepsychologie.
Im Nachhinein kam nicht nur raus, dass die Angst übertrieben war, sondern dass Tamiflu auch gar nicht die Wirkung hätte.
http://bazonline.ch/wissen/medizin-und-psychologie/Der-TamifluMythos-/story/13929775
Menschliches Missgeschick oder ein menschliche Dekadenz? Lassen wir es offen.