… das anthropologische Äquivalent des Heiligen Grals und die wichtigste Entdeckung seit 47 Millionen Jahren, die alles ändern wird? Richtig, Darwinius masillae, ein urzeitliches Primätchen, 58 Zentimeter lang und vor 47 Millionen Jahren im zarten Alter von wenigen Monaten im heutigen Deutschland verstorben. Und ein Medienspektakel sondergleichen.
Dürfen (Sollen) Forscher zeitgleich mit ihrer Publikation im Fachjournal PloS (weshalb nur PloS?) ihre Entdeckung mit einer Show im American Museum of Natural History, mit einem Dokfilm im History Channel, mit einem Buch, einer aufwändigen Website und mit einem exklusiven Arrangement mit ABC News feiern? Und gleichzeitig den übrigen Journalisten die Fakten bis zur Pressekonferenz verweigern und ihnen so keine Zeit für Recherchen zu lassen?
Die Kommentare zum Sensationsfund jedenfalls werden immer giftiger. Titelte die New York Times noch brav “Seeking a Missing Link, and a Mass Audience”, tönt es auf Scienceblogs schon anders: “The Link – Wissenschaft im „Mediazän“, „The Hollywoodization of Science“, “The Darwinius hype is beginning to burn“. Und das Discover Magazin meint trocken: “Science Held Hostage“. Spannend ist der Artikel im Seed Magazin: „Ida-lized! The branding of a fossil„.
Während wir in der Schweiz also noch über “Wissenschaftskommunikation – Chancen und Grenzen” diskutieren, sind andere längst im Zeitalter des Wissenschaftsmarketings. Ist das verwerflich – oder gar nötig? Was sind die Risiken und Nebenwirkungen?
- Eine Gefahr des Marketings ist das Ungleichgewicht: Eine Entdeckung wird überbewertet, während andere wichtige ohne Marketingsupport übergangen werden. Dabei muss man allerdings beachten, dass letztlich die Bewertung der Forschergemeinde entscheidend ist. Lässt sich die von drönendem Marketing beeinflussen?
- Marketing kostet Unsummen. Das können sich nur die Grossen und Reichen leisten. Spielen diese vermehrt mit ihren Marketingmuskeln, aber kleinere Institutionen und solche in ärmeren Ländern das nachsehen.
- Feiern wir jedes Jahr ein Dutzend Entdeckungen, die je seit 50 Millionen Jahren die wichtigste ist, haben wir zuerst ein Problem mit der Logik. Und dann eines mit der Glaubwürdigkeit. Solche Übertreibungen sind ein gefundenes Fressen für die Verfechter des Intelligent Designs, die ihre „gleichwertige Wissenschaft“ als von Marketingmillionen der Gegenseite an den Rand gedrängt darstellen können.
- Der Wert des Seltenen und mühsam Erarbeiteten: Niemand möchte einen Steinbruch mit Rosettasteinen und noch weniger den täglichen Asteroideneinschlag. Die Menschheit kann ihren Erkenntnishorizont nur langsam erweitern. Sensationen zeigen ihren Glanz erst nach jahrelangen Disputen. In dieser intensiven Auseinandersetzung steckt der wahre Wert der Wissenschaft.
Nun ist das Wissenschaftsmarketing nicht wirklich neu. Vor allem die NASA, aber seit einigen Jahren auch die ESA, spielen gekonnt auf der Marketingklaviatur. Auch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms oder der LHC im Cern wurden gekonnt inszeniert. Dies waren jedoch stets riesige Projekte, denen man einen gewissen Marketinglärm zugestand. Die oben erwähnten Risiken spielen da kaum eine Rolle. Neu und störend ist, dass dies nun eine relativ kleine Forschergruppe nachmacht.
Was aber ist zu viel? Wann wird Wissenschaftskommunikation zum Marketing? Hier ist es wohl wie mit dem Essen: Was zu süss, zu fettig, zu salzig ist, entscheidet in erster Linie die Gewohnheit. Gesund ist dies trotz der Gewöhnung aber noch lange nicht.
Bin ganz einverstanden. Das ganze Affentheater wird auch nicht besser, wenn man bedenkt, dass sie parallel zur Publikation einen Film gedreht haben, der am 31.5. gezeigt werden soll (ich glaub ZDF) und der ehrenwehrte John Attenborough sich fürs Marketing einspannen liess. Solcher Hype hat in der Anthropologie allerdings eine gewisse Tradition (es fing mit dem Australopithecus Lucy aus Äthiopien in den 70er a), aber problematisch ist die Verbindung mit plosone, die das ganze in ihrem peer review nur faktischer Richtigkeit prüft und nicht nach Bedeutung gewichtet.
Der interessante Aspekt an dieser Ida-Geschichte ist für mich, dass es trotz allem Hype und Feuerwerk aus allen medialen Rohren ungemein schnell gegangen ist, bis der Claim vom Missing Link sortiert, hinterfragt und zerzaust war. Das hat etwas Tröstliches. Gerade im Feld der Paläontologie, das so viele Laien fasziniert und darum nebenbei auch einige fachlich beschlagene Medienleute zu ernähren scheint, kann man offenbar eine überzogene Deutung eines Fundes auch mit grossem Aufwand nicht lange halten. Der Grund mag sein, dass gerade in diesem Feld eben auch einige kompetente Blogger auf der Hut sind. Wer ein bisschen sucht, findet leicht Zugang zu diesen Quellen, selbst die umfangreiche Originalarbeit kann ja jede(r) einsehen. Wäre in „Science“ oder ähnlichen Journals kaum der Fall gewesen.
Zugeben muss man, dass die so tragisch verunglückte Lemurin Ida wirklich gute Figur macht und an und für sich schon aus dieser Sicht bemerkenswert ist. Sonst sind es doch ab und zu einfach ein paar Zähne, die man uns als weltbewegend deutet. Dass die Fundgeschichte mit dem Wodka, den paar Hunderttausend Mäusen, die man dem Privatmann (warum darf der eigentlich in der Grube buddeln) bezahlt hat und der langen Geheimhaltung noch ein paar zusätzliche Gutzis fürs Erzählen liefert, ist ja auch nicht zu verachten. Mir kommt nicht so furchtbar neu vor, dass um einen Fund und seine Deutung viel Trarara gemacht wird. Hatten wir das nicht zum Beispiel schon beim Mars (Wasser, Mikroben…), beim erinnerungsfähigen Wasser, der kalten Fusion, alles Dinge, die sich dann nicht so recht halten liessen. Anders beim Genom und natürlich unserer lieben alten, früh verstorbenen Dolly. Wenigstens wirds nicht langweilig, dass alles ins rechte Licht gerückt und sauber eingeordnet wird, dafür sind ja unsere Gilde und die Blogger-Community da.
Peinlich ist, dass die offizielle Website http://www.revealingthelink.com/ nur ein positiv gefiltertes Bild der Reaktionen wiedergibt und das erst noch unter dem grosssprecherischen Titel „The Worlds Reaction“. Alles Feuchtnasenaffen eben.
Habe soeben auf BBC den Film „Uncovering Our Earliest Ancestor“ gesehen: etwas langweilig, aber mit einer tollen Liebe zum Detail. Dutzendfach fährt die Kamera dem kleinen Fossil entlang. Man spürt, wie zäh und detailversessen diese Forschung sein muss. Hat mir gut gefallen. Was leider völlig fehlt, ist irgendeine Einschätzung eines unbeteiligten Forschers – logisch bei der Produktionsweise.