Sara Stalder, Stiftung für Konsumentenschutz: Immer mehr Leute, auch bildungsferne, informieren sich über das Internet. Es ist verdächtig, wenn Behörden, Firmen und Wissenschaft in einem Topf stecken. Konsumenten fragen sich, ist das neutrale Information?
Maya Brändli, DRS2, fragt zurück, wer denn diese neutrale Information rüberbringen soll? Beat Glogger, scitec-media geht zum Gegenangriff über: An einer Tagung zum Thema Krebs und Handy wurde über das Risiko gesprochen. Die SKS war vertreten und stellte im Podium die Frage: „Aber für Kinder ist es doch viel gefährlicher?“ Franco Cavalli antwortete, nein, für Kinder sei das Risiko kleiner, weil die Regenerationsfähigkeit grösser sei. In Tagesschau sagte dann die SKS, das Risiko für Kinder ist nicht bekannt. Glogger fragt sich deshalb, wie sehr sich die SKS von Wissenschaftern leiten lässt.
Stalder: Wenn ich einen Hochglanzprospekt in der Hand habe, und unten steht Pfizer, dann ist das wirklich keine unabhängige Information.
Glogger: Ich habe nun nicht eine Pharmafirma zitiert, sondern einen führenden Krebsforscher der Schweiz.
Eine Teilnehmerin aus dem Publikum: Unabhängige Information, das müsste doch die SKS liefern!
Live-Blogging an Tagung „Wissenschaftskommunikation – Chancen und Grenzen“ der akademien-schweiz
Leider kam das Statement seitens SKS so rüber, als stelle man die Wissenschaftler unter eine Art ‚Generalverdacht‘: Wenn eine Forschungsarbeit einen Produktnahmen enthält, dann sind Zweifel an der ‚Neutralität‘ angebracht.
Das widerspricht natürlich dem wissenschaftlichen Selbstverständnis. Seriöse Wissenschaftler werden sich nicht von Geldgebern beeinflussen lassen, und seriöse Geldgeber werden das auch nicht verlangen! In über 15 Jahren Drittmittel-finanzierter, angewandter Forschung habe ich persönlich das jedenfalls noch nicht erlebt.
Und es sei daran erinnert, dass es in der Wissenschaft – im Gegensatz zu allen anderen an der Tagung vertretenen Gruppen – einen im Prinzip gut funktionierenden Qualitätssicherungsprozess gibt: Das Peer Review. In den zitierten ‚guten Journals‘ wird lediglich ein Bruchteil der eingereichten Arbeiten publiziert, die anderen fallen der Begutachtung mangels Qualität zum Opfer. Ich selbst kenne den konkreten Fall, dass kürzlich ein Gutachter (Peer Reviewer) einen Fall von Plagiat im Rahmen einer internationalen, wissenschaftlichen Konferenz aufgedeckt hat. Das was in Journals und Konferenzen publiziert wird, ist also vorgängig durch einen Qualitätssicherungsprozess gelaufen!
Es ist durchaus gut und erwünscht, Fragen zu stellen und Berichte zu hinterfragen. Der Anschein dieses „Generalverdachts“ zeigte sich jedoch auch bei der Impfthematik, wo Informationen seitens SKS publiziert wurden, ohne Referenzen und Belege, jedoch als Tatsachen dargestellt. Auch das ist keine neutrale Berichterstattung.
Doch sollte man bei der Diskussion nicht den Konsumenten unterschätzen oder sogar dazu neigen, ihn zu bevormunden. Gerade bei der diskutierten Problematik der fehlenden Qualitätskontrolle der gratis Massenmedien. Die junge Generation „wächst“ heute in diese Skepsis gegenüber Publiziertem (Internet wie auch Druck) hinein, eben weil auch sie selber die Leichtigkeit der Informationsverbreitung mitbekommen und auch nutzen. Die Wissenschaftskommunikation sollte sich viel eher darum bemühen, die Leser dort abzuholen und wie Beat Glogger darauf hinwies, diese Medien nutzen, um die Wissenschaft der Bevölkerung näher zu bringen und das Verständnis zu fördern. Und zwar mit einer entsprechenden Sprache und in ansprechender Form. Auch eine Art von Nachwuchsförderung.
„Neutrale Information“ gibt es nicht. Deshalb fand ich es auch ein wenig vernessen, dass Frau Brändli sich an der Tagung als Journalistin bezeichnete, die neutral informiert.
Selbst wenn die Artikel ausgewogen sind, entscheidet der/die JournalistIn mit der Themenwahl doch darüber, welche Themen in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Journis und Medien können Dinge „hypen“ und „totschweigen“, auch zwei reisserische Begriffe übrigens.
Und auch die Wissenschaft ist nicht neutral, wenn sie an die Öffentlichkeit tritt. Dass der peer-review-Prozess nicht absolute Neutralität und Glaubwürdigkeit garantiert, dürfte angesichts der Malpractice-Vorfälle der letzten Jahre und der von Firmen finanzierten und „skewed“ Studienergebnisse klar sein. Man kann eine Studie auch so konstruieren, dass das erwünschte Ergebnis rauskommt.
Ich glaube, gegen Falschinformation helfen:
– Transparenz: Es muss immer klar sein, woher die Info kommt bzw. wer dafür gezahlt hat)
– Empowerment: Die Leute (auch die bildungsferneren) müssen befähigt werden, die Abläufe in der Medien/PR-Welt zu durchschauen, die Glaubwürdigkeit einzuschätzen und danach zu handeln. Das ist allerdings sehr schwer manchmal, nicht nur für bildungsferne Menschen…
Ich bin mit Thomas Pfluger weitgehend einverstanden, dass es „Wahrheit“ und „Neutralität“ im Journalismus – wie auch in der Wissenschaft – nicht gibt, sondern allenfalls Annäherung an … Das beruht auf solidem Handwerk wie fundierte Recherche, Quellenverzeichnis und Transparenz und bestenfalls Unabhängigkeit.
Ein gravierendes Problem ist jedoch, dass die einstmals feste Firewall in Medienverlagen inzwischen löchrig bis beliebig durchlässig geworden ist, d. h. die strikte Trennung zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung, Publi-Reportagen etc. immer weniger beachtet wird. Für die Leserschaft (insbesondere die bildungsferne) wird es daher immer schwieriger, redaktionelle Inhalte von Werbung und Marketing zu unterscheiden. Im Internet ist dieses Problem noch viel offenkundiger. Daher werden Medien- und Internetkompetenz und Empowerment nötiger als je zuvor.
Ich hege den Verdacht, dass die strikte Trennung von Werbung/Marketing/PR und redaktioneller Berichterstattung höchstens für einige Jahre hochgehalten wurde. Wenn wir bedenken, dass viele der ersten Zeitungen partei- oder kirchengespronsert waren… Trotzdem hat Wolf Ludwig vollkommen recht, dass die immer frechere Vermischung von PR und redaktionellen Inhalten gefährlich ist. Ich selbst habe als Wissenschaftsjournalist einmal ein Angebot einer grossen Schweizer PR-Bude erhalten, ein Thema zu „platzieren“. Ich habe das abgelehnt, weil ich glaube, dass exakt das Platzieren von Themen eine der wirksamsten Formen von Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist.