Der amerikanische Fernsehsender MSNBC wählte ihn am 11. Februar zur „today’s worst person in the world“, den Mediziner Andrew Wakefield. Er hatte vor ziemlich genau 11 Jahren behauptet, dass der Masern-Mumps-Röteln-Impfstoff Autismus auslösen kann – und dabei offenbar fleissig geschummelt. In der Masern-Hochburg Europas, der Schweiz, müsste man sich dafür eigentlich interessieren.
Was im Fachjournal Lancet steht, muss stimmen. Am 28. Februar 1998 veröffentlichte das renommierte Fachblatt einen mittlerweile berühmten Artikel des Mediziners Andrew Wakefield, damals am Royal Free Krankenhaus in Hampstead. Im Paper wurde vorsichtig angedeutet, dass 12 Kinder nach der Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR) eine Darmentzündung und Autismus entwickelt hatten. Mit der Vorsicht war es bereits an der Pressekonferenz der Forschenden vorbei. Das Paper entwickelte sich zu einem der Hauptpfeiler der Impfskeptiker und wirkt bis heute nach. Vor allem in England brach darauf die Impfquote ein. Was in Lancet steht, muss stimmen.
Dabei ist das Paper und sein Hauptautor in der Zwischenzeit auf mehreren Ebenen diskreditiert worden. Umfangreiche Studien in den Jahren darauf fanden keinerlei Hinweis, dass der MMR-Impfstoff Autismus auslösen könnte. Weshalb aber kam es zu dem Verdacht? Der Grund ist wohl banal. Die meisten Kinder werden im 2. Lebensjahr geimpft. Bis Eltern erste Autismus-Anzeichen erkennen, sind die Kinder meist bereits etwa 20 Monate alt. Sprich: Beides findet im gleichen Zeitfenster statt. Verzweifelte Eltern machen da verständlicherweise schnell einmal eine Verbindung zur Impfung. Die widersprechenden wissenschaftlichen Daten haben Wakefield noch nicht diskreditiert. Dass er sie aber nicht anerkennt und den Verdacht weiter warm hält dagegen schon.
Die richtig schmutzige Wäsche brachte jedoch der Sunday Times Journalist Brian Deer ans Tageslicht. Schon 2004 konnte er zeigen, dass Wakefield von einem Anwalt Geld erhalten hatte, der für Eltern autistischer Kinder eine Sammelklage gegen Impfstoffhersteller vorbereitete. Wakefield hatte dies im Paper nicht offengelegt. In der Folge zogen sich viele der Mitautoren des Papers zurück.
Jetzt doppelte Deer in der Sunday Times vom 8. Februar nach. Der Journalist hat Einsicht in die medizinischen Akten der 12 Kinder erhalten. Laut Lancet-Paper litten 11 der 12 Kinder an einer Darmentzündung. In den medizinischen Akten von mindestens sieben Kindern hielten die Ärzte des Krankenhauses fest, dass keine Abnormalitäten im Darm zu beobachten seien. (Die Kinder waren wegen Magen-Darm-Problemen ins Spital gekommen.)
Gemäss Paper waren zudem bei 8 Kindern innerhalb von 6,3 Tagen erste Verhaltensstörungen aufgetreten. In den medizinischen Akten einiger dieser Kinder waren jedoch schon vor der MMR-Imfpung Verhaltensstörungen verzeichnet. Bei einem Kind hatten die Eltern 10 Wochen vor der Impfung befürchtet, das Kleine höre nicht richtig – das häufigste erste Symptom für Autismus. Zwei andere Kinder waren mit Gehirnproblemen bereits vor der Impfung hospitalisiert worden. Und so weiter. Ging man bisher davon aus, dass Wakefield die 12 Kinder sehr selektiv ausgewählt hat, zeigt sich nun, dass er zudem die Daten manipuliert hat.
Interessant ist, dass in der Masern-Hochburg Schweiz die Geschichte bislang noch keinerlei Widerhall gefunden hat. Dabei wäre das bitter nötig. Die EUVAC.NET Gruppe veröffentlichte Anfang Jahr ein Paper zur Masern-Situation in Europa – im Lancet (manchmal stimmen die Paper durchaus). Demnach hat die Schweiz die höchste Masern-Inzidenz in Europa und ist eines der Schlusslichter bei der Impfabdeckung, besonders in der Deutschschweiz (siehe Grafik). Seit November 2006 grassiert bekanntlich eine eigentliche Masern-Epidemie mit bislang über 3400 Fällen. Meist bedeuten die Masern zwar nur ein vorübergehendes Leiden für die Kinder. Einige entwickeln aber auch Lungen- und Hirnhautentzündungen und – glücklicherweise – sehr wenige sterben sogar daran. Dabei liesse sich das so einfach vermeiden – mit einer zweimaligen Impfung gegen Masern.
Quelle Grafik: Eurosurveillance, Volume 13, Issue 8, 21 February 2008 – Measles outbreak in Switzerland – an update relevant for the European football championship (EURO 2008)
Interessant. Auf Widersprüche und offene Fragen bei Wakefield hat auch Ben Goldacre in Bas Science hingewiesen (vgl. auch https://www.scientoskop.ch/sciencesofa/2008/10/bad-science-–-eine-dringliche-empfehlung/). Es ist aber fraglich, ob nachträglich nachgewiesene Schummeleien tatsächlich einen Einfluss auf die Wahrnehmung haben. Das Masern-Gerücht verbreitet sich: auch so viral. Die Triebkraft scheint die Skepsis gegenüber der sogenannten Schulmedizin zu sein kombiniert mit einem naturalistischen Fehlschluss: die Natur ist immer gut. Hier ist kaum eine Korrektur seitens der Medien zu erwarten.
Du solltes vielleicht noch erwaehnen, dass eine Abdenkung von >95% noetig ist um die Masern ganz auszurotten. Wir in der Schweiz sind jedoch weit davon entfernt und die Eltern, die sich so sicher fuhelen, sind sich der Gefahr der Ansteckung wohl auch nicht bewusst. Kommt noch hinzu, dass ihr verantwortungsloses Verhalten ein grosses Risiko fuer Schwangerschaften bedeutet. Die ethischen Aspekte sollten in einer aufgeklaerten Gesellschaft ueberwiegen und vor der individuellen Entscheidung stehen.
Du solltes vielleicht noch erwaehnen, dass eine Abdenkung von >95% noetig ist um die Masern ganz auszurotten. Wir in der Schweiz sind jedoch weit davon entfernt und die Eltern, die sich so sicher fuhelen, sind sich der Gefahr der Ansteckung wohl auch nicht bewusst. Kommt noch hinzu, dass ihr verantwortungsloses Verhalten ein grosses Risiko fuer Schwangerschaften bedeutet. Die ethischen Aspekte sollten in einer aufgeklaerten Gesellschaft ueberwiegen und vor der individuellen Entscheidung stehen.