Er ist wohl der sanfteste aller Kreationisten. Er versteht alle, er achtet alle und seine Sätze haben sich in unzähligen Vorlesungen ausgezeichnet an die Umwelt angepasst. Sie beinhalten stets das Gegenargument, nehmen die Kritik vorweg, entziehen ihr den Boden. Es ist der 12. Februar. In der Gellertkirche Basel. Ich feiere den 200. Geburtstag Darwins beim Schöpfungsgläubigen Siegfried Scherer, Professur für Mikrobielle Ökologie an der Technischen Universität München. Er spricht zu „Was Darwin nicht wissen konnte“.
Der Vortrag gegliedert nach den rhetorischen Strategien:
Weshalb Religion in die Naturwissenschaft reinfunken darf/muss
Herkunftsfragen sind Sinnfragen, sagt Scherer. Zwei Ebenen berühren sich, sagt er später. Für ihn gibt es deshalb einen nahtlosen Übergang von der Frage „Wie ist das Leben entstanden?“ zu Fragen wie „Wer bin ich?“ „Weshalb bin ich?“. Ein nahtloser Übergang also von wissenschaftlich beantwortbaren Fragen zu Sinn-Fragen, die sich den Naturwissenschaften entziehen, jedoch im Zentrum jeder Religion stehen. Wie kann man da Evolution rein wissenschaftlich betreiben?
Wir alle sind Gläubige
Als Wissenschaftler weiss ich nicht, was Wahrheit ist, sagt Scherer. Wahrheit ist etwas Religiöses. Wenn er den berühmten Evolutionsbiologen Stephen Jay Gould sagen lässt „Evolution ist wahr – und die Wahrheit kann uns nur frei machen“, dann ist das für ihn eine „religiöse“ Aussage. Evolutionismus, sagt Scherer. Und er führt diese Gläubigen genüsslich als Fanatiker vor. Etwa Richard Dawkins mit dem Zitat: Der Glaube an Gott ist eines der grossen Übel in der Welt, vergleichbar mit dem Pockenvirus, aber schwerer auszurotten. Oder der Genetiker und Wissenschaftsphilosoph Richard Lewontin: Der Materialismus ist absolut, wir können keinen göttlichen Fuss in der Tür zulassen.
Scherer verschweigt auch den Fanatismus auf der anderen Seite nicht. Er zeigt ein Buch amerikanischer Kreationisten mit dem Titel „Things that make evolutionists look stupid“. Dieser Streit mache ihn traurig, sagt Scherer.
Ein Teil seines Vortrages trägt den Titel „Welche Brille tragen Sie?“ Darin führt er aus, dass Daten nie für sich sprechen. Sie müssen immer interpretiert werden und da spielen Denkvoraussetzungen, Weltanschauungen bei jedem eine Rolle. „Wir haben alle Brillen“, sagt Scherer. „Ohne Glauben können wir nicht denken.“ Und ganz am Schluss des Vortrages wird er sagen: „Überlegen Sie sich, welche Brille Sie tragen.“
Die Evolution liefert wunderbare Erklärungen – für das Kleingedruckte
Offene Fragen an allen Ecken und Enden, sieht Scherer. Er erzählt von den Ursuppenexperimenten, als Stanley Miller für über 50 Jahren elementare Biomoleküle hat entstehen lassen. Scherer zeigt ein Schema mit all den nötigen Schritten, damit sich diese Biomoleküle spontan zu einer Zelle zusammenlagern. Und er zeigt in einer Grafik, welche Schritte man bisher beobachtet hat und welche nicht. Seine Schlussfolgerung: Der Ursprung des Lebens ist unbekannt.
Scherer illustriert die explosionsartige Entwicklung von Tieren im Kambrium. Er zeigt den Stammbaum des Lebens und erklärt, da müsste man ja in den Erdschichten Übergangsformen finden, die so genannten missing links. Nur habe man bislang noch keine einzige Übergangsform gefunden. (Das ist etwas vom Wenigen, was schlicht falsch ist: siehe). Scherer glaubt an die Mikroevolution. Er sieht die Variabilität und glaubt, dass sich Arten per Selektionsprozesse optimieren können. Die grossen Schritte aber, die Makroevolution, die Entstehung neuer Baupläne (etwa der Vogelfeder), hält er für ungeklärt.
Herr Scherer vergisst nicht zu erwähnen, dass man den Glauben nicht aus dem Nichtwissen ableiten kann.
An Gott zu glauben ist nicht unwissenschaftlich
Scherer führt dazu berühmte Naturwissenschaftler vor, die gläubig sind. So etwa den Leiter des Human Genom Projects, Francis Collins (der entgegen der Meinung von Scherer den christlichen Glauben und die Evolutionstheorie für vereinbar hält). Oder Werner Arber, Nobelpreisträger aus Basel, mit dem Zitat: Der Ursprung des Lebens bleibt für mich ein Geheimnis. Die Möglichkeit der Existenz eines Schöpfers, eines Gottes, ist für mich eine befriedigende Lösung.
Das Wesentliche der Welt ist wissenschaftlich nicht fassbar
Gegen Ende des Vortrags zeigt Scherer ein Bild eines Eisbärmamis mit ihrem Eisbärkind. Was sehen Sie, fragt Scherer. „Sehen Sie Moleküle, Isolationsparameter des Felles, die Theorie der Mutter-Kind-Beziehung?“ „Nein“, sagt Scherer. „Wir sehen mehr. Das, was jeder sieht, ist das, was Gott hineingelegt hat.“ „Bin ich ein Naturprodukt?“ Die Antwort kommt als Bekenntnis: „Ja, ich bin Geschöpf!“
Der Vortrag wirkte ausgezeichnet. Zwei ältere Damen links und rechts von mir stiessen immer lautere Anerkennungsrufe aus. Hinter mir sassen drei junge Männer, wohl Biologiestudenten, deren kritische Bemerkungen immer seltener und leiser kamen.
Resultat: Ein Haus in der Luft
Tatsächlich halte ich (fast) jeden Satz von Siegfried Scherer für richtig. Jeden Satz für sich genommen. Nur das Ganze ergibt wenig Sinn. Wie ist das möglich? In seinem Vortrag setzt Scherer „Denkvoraussetzungen“ und „Religion“ implizit gleich. Selbstverständlich hat er recht, wenn er sagt, dass bei jedem Forscher Denkvoraussetzung bei der Interpretation von Daten eine Rolle spielen. Nur sind Denkvoraussetzungen eben nicht das Gleiche wie Religion. Die Religion geht weiter. Sie kennt die Wahrheit schon. Im christlichen Glauben ist sie beschrieben in einem um die 2000 Jahre alten Buch. Siegfried Scherer sagt, er könne nicht an den Evolutionsprozess glauben, weil dieser ein Todesprozess ist. Arten müssten dabei unausweichlich aussterben. Indem die Religion die Antworten auf Fragen schon kennt, nicht als Hypothesen, sondern als Wahrheiten, ist sie mit den Wissenschaften unvereinbar. Dabei kann beides durchaus friedlich nebeneinander existieren. Beginnt man aber, aufgrund seines religiösen Glaubens wissenschaftliche Theorien abzulehnen bzw. aufzubauen, dann wird das Ganze sinnlos. Man schafft ein Fundament für seine wissenschaftlichen Theorien, das wissenschaftlich nicht mehr fassbar, hinterfragbar ist. Das ist wie der Bau eines Hauses in der Luft.
Wie sollen die Wissenschaften mit dieser Kritik umgehen? Diese Frage stellt sich durchaus auch in der Schweiz. So forderten einige Kantonsräte im April 2008: „Der Regierungsrat wird ersucht, sich beim Bildungsrat dafür einzusetzen, dass an der Volksschule im Fachbereich Mensch und Umwelt Intelligent Design bzw. Schöpfungslehre gleichwertig neben der Urknall- und Evolutionstheorie unterrichtet wird.“ Und ProGenesis, die prominenteste Kreationisten-Vereinigung in der Schweiz, weiss gemäss repräsentativer Umfrage, dass 75% der Schweizerinnen und Schweizer eine gleichberechtigte Behandlung von Evolution und Schöpfung im Biologie-Unterricht wünschen.
Für mich sind folgende Punkte zentral:
- Die Information/den Dialog über die Evolution verstärken – in der Bildung auf allen Stufen, im Internet, in Büchern, in Vorträgen und so weiter.
- Nicht zu sehr auf die Kreationisten reagieren (insofern ist dieser Artikel ein Fehler). Der Streit hilft ihnen letztlich. Die Medien werden ja nie die Realität in der Wissenschaft abbilden, indem sie 1000 Evolutionsbiologen auf der einen Seite, und 1 Kreationisten auf der anderen interviewen. In den Berichten steht immer ein Biologe gegen einen Kreationisten. Dadurch entsteht der Eindruck, es gebe zwei konkurrierende, gleichberechtigte Erklärungsmodelle.
- Sich in den Naturwissenschaften mehr auf die Relativität des Wissens einlassen. Wissenschaftsphilosophie Ansätze müssten unbedingt Teil eines naturwissenschaftlichen Curriculums sein. Naturwissenschaftler bieten da eine Achillesferse, die Kreationisten (und andere) gerne nutzen.
Ich bin ganz auf Deiner Linie, lieber Marcel. Man sollte in diesen Diskussionen nicht vergessen, dass der grosse CD selbst mit der Religion kaum ein Problem hatte, er begann ja als Theologiestudent und gläubiger Christ und entwickelte trotzdem die Evolutionstheorie. Soviel ich Darwin verstehe, war Religion für ihn kaum und im Lebensverlauf immer weniger ein Thema. Und wir sollten uns heute auch nicht in Diskussionen mit Kreationisten verheddern, denn da kann man eigentlich nur verlieren, weil ihre Anhänger auf einer anderen Ebene argumentieren, die wissenschaftlichen Fakten nicht zugänglich sind. Das heisst: Nutzen wir das Darwinjahr, um die Leute mit der Evolution zu konfrontieren, dabei nicht vergessend, dass wir nicht alles wissen.
Leider muss ich immer wieder feststellen, dass viele Naturwissenschaftler, darunter auch Biologen, die Konsequenz, die in Darwins Evolutionstheorie steckt, nicht verstehen. Obwohl die Theorie in Worten sehr einfach formuliert werden kann, koennen ihre Auswirkungen umso verwirrender sein. Einer dieser problematischen Aspekte ist die Ziellosigkeit der Evolution. Auch Prof. Scherrer hat dabei danebengegriffen, wenn er von Optimierung durch Evolution spricht. Hinzu kommt, dass die Evolutionstheorie immer wieder zur Beantwortung von Fragen hinzugezogen wird, die fuer die Wissenschaft irrelevant sind. So beantwortet Darwins Theorie die Frage nach dem Sinn des Lebens genausowenig, wie Einsteins Relativitiaetstherie die Frage nach dem Sinn von Raum und Zeit. Wissenschaft beschreibt lediglich die Natur um uns herum und dies auf eine moeglichst objektive Weise. Dass die dabei gewonnen Erkenntnisse mit den religioesen Vorstellung kollidieren laesst sich kaum vermeiden.