Unter dem Titel «Forschung unter verschärfter Beobachtung» hat Markus Hofmann in der NZZ kürzlich das Jahr der Schweizer Pflanzengenetik Revue passieren lassen. Im Zentrum steht natürlich die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen zu Forschungszwecken im Rahmen des NFP 59, der Vandalenakt an den Versuchspflanzen in Reckenholz, sowie das vom Bundesrat vorsorglich verlängerte Moratorium für die kommerzielle Freisetzung. Hofmann zitiert darin den Pflanzenforscher Beat Keller folgendermassen: “Keller meint, dass der Bundesrat mit dem Moratoriums-Entscheid die Forschung für seine politischen Ziele missbraucht.”
Das Muster, dass Forschung, vor allem wenn sie anwendungsorientierte Aspekte besitzt, politisch instrumentalisiert wird, ist mir in den letzten Jahren immer häufiger und immer intensiver begegnet. Es betrifft Forschung rund um das Thema Energies, um Ernährung und Landwirtschaft, neue Technologien wie Fortpflanzungsmedizin, Stammzellen, Mobilkommunikation oder das Internet. Es scheint, als hätten die Akteure aus öffentlicher Hand, Wirtschaft und Zivilgesellschaft den «Wert» der Forschung als unabhängigen und glaubwürdigen Zeugen für die eigenen Interessen entdeckt und versuchen die Forschung für ihre Zwecke einzuspannen. Nach dem Motto: Wer die Forschung auf seiner Seite hat, hat die Wahrheit auf seiner Seite.
Diese Entwicklung ist nicht zu verhindern, denn eigentlich ist sie ein Kompliment an die Wissenschaft und verdeutlicht ihre gesellschaftliche Bedeutung: Die Definitionsmacht von Wissenschaft ist faktisch sehr gross. Es ist die Wissenschaft und das wissenschaftliche System, welche definieren, was Wissen (Macht) ist.
Was aber immer wieder erstaunt: Die Forschung selbst ist auf diese Vereinnahmungstendenzen kaum eingestellt. Forschende und Forschungsförderer sind immer wieder verblüfft, wie stark und intensiv die Umklammerungsversuche sind. Hier besteht Nachholbedarf, denn dies haben weder die Forschenden noch die Wissenschaft selbst verdient. Ohne entsprechende Vorbereitung droht die Wissenschaft jedenfalls zum Spielball der Interessen zu werden.
Mathis trifft eine interessante Feststellung, die m.E. aber kein neues Phänomen betrifft. Nehmen wir die Nationalen Forschungsprogramme (NFP) des Nationalfonds, die per Definition «fundierte Beiträge zur Lösung dringender Probleme» liefern sollen. NFP 1 aus dem Jahre 1975 suchte nach «offenen Fragen zur Verhütung» von Herz-Kreislaufkrankheiten und Möglichkeiten zu deren Prävention. NFP 17 aus den 80er Jahren betraf Tierversuche und Alternativmethoden, NFP 45 Probleme des Sozialstaates. Diese Programme beschäftigen sich fast immer mit aktuellen Problemen, die politisch kontrovers diskutiert werden und sie sollen sozusagen objektvie wissenschaftliche Lösungen präsentieren, um die politische Diskussion zu entkrampfen. Gelöst wurde keine dieser Fragen (zum Beispiel wurden weder die untersuchen Alternativmethoden eingeführt, noch wurde die Prävention gegen Herzinfarkte wirklich verstärkt). Die Forschenden lassen sich hier bewusst auf ein Spiel ein: Sie kriegen Forschungsgelder und liefern damit Argumente zur Verschleppung einer politischen Aktion. Die Wissenschaft kann nie klare Antworten geben, weil sie es nicht kann und das soll sie auch nicht. So aber lässt sie sich bewusst zur Spielmasse der Politik degradieren. Ich denke, die Forschenden kennen diese Dialektik, aber wo die Honigtöpfe hängen, da lass dich ruhig nieder. Damit gehen sie ein kalkuliertes Risiko ein und müssen nun – wie im angesprochenen Fall – nicht klagen, wenn sie vom Bundesrat mit der Verlängerung des Moratoriums vereinahmt werden.
Lieber Mathis, für mich ist das Ausdruck der fast religiösen Wirkung, welche die Wissenschaft in unserer Gesellschaft entfaltet. Man verlangt von ihr Antworten auf alle möglichen Fragen; man möchte Halt in einer unsicheren Welt; sie soll sicherer Wegweiser sein in eine bessere Zukunft. Das überfordert die Wissenschaft; so wird sie niemals den Weg aus der politischen Sackgasse in der Gentechnologie weisen können. Das Prinzip Wissenschaft (im Gegensatz zur Religion) sollte wieder sichtbarer werden: Dass Wissen immer vorläufig und stets debattierbar ist. Leider brüstet man sich lieber mit Forschungserfolgen, mit dem Forschungsfortschritt und natürlich mit all den Anwendungen. Die Forschung und ihre Promotoren haben so die Verheissungen gerufen, die sie nun nicht mehr loswerden (wollen sie das überhaupt?).
@Stefan Stöcklin
Ich finde, dass die Wissenschaft unbedingt auch solche gesellschaftliche Fragen betrachten muss. Im Prinzip spielt es keine Rolle, wer was für eine Frage stellt. Solange sie wissenschaftlich betrachtet wird und die Resultate auch wissenschaftlich kommuniziert werden. Die Wissenschaftler dürfen dabei natürlich nur die Fragen beantworten und nicht die Entscheidungen fällen.
Wenn die Wissenschaft Alternativmethoden zu Tierversuchen analysiert und dabei nichts herauskommt, dann ist das nicht der Fehler der Wissenschaft sondern es liegt in der Natur der Frage. Es darf kein Erfolgszwang bestehen, sonst geht die Wissenschaft verloren. Genau so bei der Agrogentechnik. Die Mechanismen müssen untersucht werden, aber die Entscheidung ob ein Risiko einzugehen nötig oder zu verhindern ist, dürfen Wissenschaftler nicht selbst treffen.
Die wissenschaftliche Vorgehensweise ist meines Erachtens sogar nötig in einer aufgeklärten Gesellschaft. Ich stimme Mathis zu, dass es die Aufgabe der Wissenschaft selbst ist, sich gegen die Einflussnahme der Interessevertreter zu wappnen.