Der Abbau in den Redaktionen der Schweizer Printmedien schreitet zügig voran: Die Basler Zeitung streicht jede fünfte Stelle (insgesamt 22), die NZZ 24 und die Aargauer Zeitung sogar 30 Stellen. Noch unklar ist, was bei der Berner Zeitung, dem Bund sowie dem Tages-Anzeiger passieren wird, aber auch hier sind aufgrund der schlechten Konjunktur demnächst ebenso massive Einsparungen zu erwarten. Vermehrt werden nun Redaktionen von Medienkonzernen in einem einzigen Newsroom vereint. Dabei kommt auch der Wissenschaftsjournalismus „unter die Räder“ – mit Einsparungen von Seiten und Stellen sowie einem Abbau von Kompetenz durch den Einsatz News-getriebener Online-Journalisten, die keine Erfahrung mit wissenschaftlichen Themen haben. Die Freien sind ohnehin bereits weg vom Schweizer Markt und ernähren sich vom PR-Brot. Ein höchst bedauerliches Signal sandte zum Jahreswechsel die NZZ aus. Überraschend strich sie die Stelle des Ressortleiters Wissenschaft. Thomas Müller, der designierte Nachfolger der frühpensionierten Heidi Blattmann, konnte seinen Job nicht antreten.
Eigentlich habe ich auf diese brüske Massnahme einen lauten Protest des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus (SWKJ) erwartet. Der Verein sollte ja schliesslich die Interessen des Berufsstands vertreten. Doch nichts geschah – oder zumindest habe ich keine Reaktion wahrgenommen. Die acht Vorstandsmitglieder – einige davon sind mit der NZZ oder der NZZ am Sonntag beruflich verbandelt – schweigen hartnäckig. Ist das nun der Bammel vor dem mächtigen Arbeitgeber oder ganz einfach der Habitus eines Schlafmützenvereins?
@ beat: Ich habe mich gewundert, weshalb bisher keiner der angesprochenen SKWJ-Vorstandsmitglieder auf Deine Kritik geantwortet hat. Liest niemand den Blog? Ist ihnen die Provokation zu blöd? Oder hast Du ins Schwarze getroffen?
Dann habe ich das Portrait des Klubs im Internet gelesen (http://www.science-journalism.ch/html/portraet.html) und muss sagen, dass Du voll daneben getroffen hast. Es ist demgemäss gar nicht Aufgabe des Klubs, die Interessen des Berufsstandes zu wahren! Wenn dem so ist, und ich muss zu meinem Beschämen sagen, dass ich als Mitglied und langjähriges Vorstandsmitglied die Statuten nicht präsent und greifbar habe, dann ist die Stille erklärbar: Der Vorstand ist von Deiner Kritik schlicht nicht betroffen.
Ich bin da nicht gleicher Meinung, lieber Mathis. Artikel 3 der Klub-Statuten sagt klar, dass der Verein SKWJ „durch seine Tätigkeit zu einer verantwortungsvollen, sachgerechten und unabhängigen Berichterstattung aus dem gesamten Bereich der Wissenschaft, der Medizin, der Technik und der Wissenschaftspolitik in allen Publikumsmedien“ beitragen will. Da lässt sich durchaus eine Vertretung des Berufsstandes der Wissenschaftsjournalisten herauslesen, ansonsten wäre das Vereinsziel doch etwas dürftig. Je weniger Stellen und Platz diese Themen in den Medien haben, desto weniger kann auch der Zweck des Klubs verwirklicht werden.
Hat der Klub (und sein Vorstand) sich je in solchen Dingen aktiv gezeigt? Ich kann mich nicht erinnern, auch aus meiner Zeit im Vorstand nicht. Für gewerkschaftliche Aktivitäten ist der Verein wahrscheinlich nicht gerüstet und ohnehin zu schwach. Aber die akute Krise – zumindest in den Printmedien – ist ziemlich bedrohlich. Die bestehenden Gefässe werden wohl tendenziell kleiner oder gar ganz aufgegeben – und damit zwangsläufig auch die Arbeitsmöglichkeiten für Wissenschaftsjournalist(inn)en geringer. Das müsste den Klub(vorstand) schon schlecht schlafen lassen.
Möglicherweise könnte man ja Allianzen schmieden. Zum Beispiel könnte man anregen, dass die Lage und Zukunftsaussichten wissenschaftlich untersucht werden. Wär je zum Beispiel ein gutes Thema für ein nationales Forschungsprogramm. Das etwa den Stand der scientific literacy in der Bevölkerung unserer Innovo-Nation erforscht, die naturwissenschaftlichen Bildungsangebote analysiert und für die Praxis relevante Ergebnisse produziert. Da könnte man ja auch herausfinden, ob und wie die demokratisch bestimmende Bevölkerung als Souverän überhauot zu ihrer Information kommt und ob sie sich mehr davon und wie wünscht oder ohnehin andere Bedürfnisse hat etc. Könnte ja ganz interessant sein.
An Beat: Warum kannst du keine Diskussion beginnen, ohne Leute zu beleidigen? Du vermisst den Protest des Vorstandes und die einzigen zwei Gründe, die dir dazu einfallen wollen sind: Entweder der Vorstand ist faul, oder er traut sich nicht.
Ob der Klub zu solchen Einzelereignissen Stellung nehmen sollte, kann man natürlich diskutieren, in diesem Fall fände ich es allerdings etwas problematisch. Dass Thomas seine Stelle nicht antreten konnte, ist natürlich sehr bedauerlich und auch peinlich für die NZZ, mit der Geringschätzung des Wissenschaftsressorts hat dieser Vorfall aber wahrscheinlich wenig zu tun. Schon eher damit, dass es bei Sparrunden eine hierarchische Reihenfolge von Massnahmen gibt, die sich am einfachsten durchsetzen lassen (weil sie auf den geringsten Widerstand der Belegschaft stossen):
1. Die Freien drücken
2. Abgänge nicht ersetzen
3. Frühpensionieren
4. Verträge von Leuten auflösen, die ihre Arbeit noch nicht aufgenommen haben.
5. Leute entlassen
In diesem Fall kam wohl Punkt 3 zur Anwendung. Welche Ressorts es wie trifft, ist nach meiner Einschätzung nicht inhaltlich bestimmt, sondern dadurch, dass es einfacher ist, jemanden nicht einzustellen, als jemanden zu entlassen.
Auch allgemeine Stellungnahmen gegen den Stellenabbau in den Wissenschaftsressorts halte ich für unnötig, solange die Wissenschaft nicht mehr darunter leidet als andere Ressorts, was ich im Moment nicht sehe. Wir befinden uns in einer Krise, wie wir sie noch nie gesehen haben. Dass auch der Wissenschaftsjournalismus das zu spüren bekommt, ist selbstverständlich. Dagegen eine Protestnote zu verfassen, ist etwa so lächerlich, wie ganz speziell darauf aufmerksam zu machen, dass auf der Titanic auch das Orchester ertrinkt.
Die Frage die uns beschäftigen sollte, geht wohl in die Richtung von Martins Beitrag: Wie sieht die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus aus? Welche neuen Formen gibt es? Welche Allianzen lassen sich schmieden? Woher könnte neues Geld kommen? Wie arbeitet man im Internet? Welche Business-Modelle gibt es?
Wir haben einerseits das Privileg, in einer unglaublich aufregenden Zeit zu leben, müssen uns aber andererseits wohl damit abfinden, dass es in Zunkunft weniger von uns brauchen wird – jedenfalls von den traditionellen Wissenschaftsjournalisten. Nicht weil die Leser heute gebildeter wären als früher, oder wissenschaftliche Aufklärung unwichtig, sondern weil sie nicht bereit sind, den dafür notwendigen Preis zu bezahlen.
Die Leute bekommen, wofür sie bezahlen. Irgendwann werden sie vielleicht merken, wie wenig das ist.
@Reto: Mit Deine Beitrag gehe ich voll und ganz einig (nur die Parallele mit der Titanic sehe ich (noch) nicht ganz). Obwohl da und dort (v.a. in den USA) die Wissenschaftsressorts selektiv geschlossen werden, kann von einem gezielten abschiessen der Wissenschaftsredaktoren bei uns derzeit nicht die Rede sein. Die Frage, wofür der Klub steht und wofür nicht, stellt sich aber in diesen krisenhaften Zeiten weiterhin.
Der Umbruch im Journalismus ist offensichtlich und in seiner ganzen Dimension vermutlich noch nicht erkennbar. Gegenüber einem Nationalen Forschungsprogramm, das die Lage und Zukunftsaussichten des Wissenschaftsjournalismus untersucht, wie es Martin Hicklin oben vorschlägt, bin ich eher skeptisch. Die Forschung ist viel zu langsam und trägt wenig zur Neuorientierung bei, die alsbald stattfinden muss. Innovative Geschäftsideen und originelle Businesspläne werden reüssieren und für den Erfolg sind neuartige Allianzen zu schmieden (mit der Privatwirtschaft, öffentlichen Institutionen, Stiftungen und Organisationen). Auch öffnen sich stets neue Publikationsnischen, beispielsweise in Stellenanzeigern (siehe dazu Mediensplitter Nr. 6). Die Verleger werden aus meiner Sicht künftig nicht mehr im Mittelpunkt stehen, andere Akteure treten in den Medienmarkt ein. Ein guter Indikator, wohin die Reise auch im Wissenschaftsjournalismus gehen könnte, sind Stelleninserate. So sucht zum Beispiel swissinfo.ch einen Leiter Marketing-Kommunikation (alpha, 14./15.2.09), der zusammen mit der Chefredaktion den optimalen Produkte-Mix auf der Nachrichten- und Infoplattform definiert etc. Doch bei all den neuen Verbindungen und Kooperationen im Online-Journalismus gilt es, die redaktionelle Unabhängigkeit neu auszuhandeln.
Grotesk finde ich die Argumentation von Reto Schneider, dass die Wissenschaftsjournalisten sich nicht für ihre Position und Präsenz in den Medien lautstark einsetzen sollen. Eine Zunft notabene, die stets gegen aussen kritisiert und austeilt, schweigt, wenn es um ihre eigenen Anliegen geht. Seltsam verkehrte Welt. Andere, weniger kompetente Kolleginnen und Kollegen werden demzufolge das Feld besetzen (wie schon jetzt etwa im «Blick am Abend»!). Nun, man kann sich als sogenannter Qualitätsjournalist seine Titanic auch selbst zusammenzimmern und darin unbemerkt (aber ehrenvoll?) untergehen. Und noch etwas: Die pauschale Anklage, Reto, dass ich Diskussionen stets mit Beleidigungen beginne, ist schon dicke Post. Den Klubvorstand betrachte ich nämlich als eine Gruppe bestandener Medienschaffender und nicht als einen Strauss von Mimosen. Jedenfalls wurde das Thema nach Rücksprache mit dem Klubpräsidenten Michael Breu mit mir bereits im Vorstand besprochen. Mit seinem moralischen Zeigefinger scheint der NZZ-Folio-Stv.-Chefredaktor (in seinem „medialen Elfenbeinturm“) doch etwas die Proportionen verloren zu haben – bei allem Respekt für seine journalistischen Leistungen.
Die Medien sind in einer Krise; einer „Krise, wie wir sie noch nie gesehen haben“, wie Reto schreibt. Budgets werden gekürzt, Stellen abgebaut – beileibe nicht nur im Wissenschaftsressort.
Die Europäische Föderation der Journalistinnen und Journalisten (EFJ) hat im November 2008 gegen den Niedergang von journalistischen Standards protestiert und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten aufgerufen. Die Schweizer Medienverbände und –Gewerkschaften haben den Aufruf unterstützt; als Präsident des SKWJ habe ich ihn ebenfalls unterzeichnet.
Beat wirft dem Klubvorstand in seinem Blog-Beitrag „Schlafmützerei“ vor. Warum haben wir nicht reagiert? Ich habe den Stellenabbau und die Kürzungen sehr wohl verfolgt – schliesslich sind nicht nur die Verlage davon betroffen, auch bei den öffentlich-rechtlichen Medien wird gespart. Ich habe auch das Gespräch mit den Medienverbänden und -Gewerkschaften gesucht, mit Chefredaktoren und Ressortleitern diskutiert. Es gibt aber keinen Hinweis, dass es überproportional dem Wissenschaftsressort an den Kragen geht – zumal dies schwierig zu belegen ist, denn der SKWJ hat noch nie eine Befragung über die Stellensituation bei den einzelnen Medien durchgeführt (und nicht alle Wissenschaftsjournalisten arbeiten im Wissenschaftsressort; ich war zum Beispiel damals beim Tagblatt Reporter und nicht Wissenschaftsredaktor). Doch nochmals: Es handelt sich um eine Krise der Medien, nicht des Wissenschaftsjournalismus.
Alle Schweizer Medienverbände und -Gewerkschaften (bei denen sind aktive Journalisten im Berufsregister eintragen) sind nicht erfreut über die Entwicklungen, müssen aber akzeptieren, dass weniger Umsatz bei den Verlagshäusern automatisch zu Budgetkürzungen auf den Redaktionen führen.
Sind die Mitglieder des Klub-Vorstandes deswegen Schlafmützen? Der Vorstand hat über die Entwicklung an seiner Sitzung diskutiert, wir haben uns eingesetzt, dass auch unser europäische Dachverband, die EUSJA, über das Thema spricht, wir haben bereits mehrfach an Seminaren die neuen Entwicklungen (neue Formen, Ethik, Wirtschaft&Wissenschaft, Textverständnis etc.) im Wissenschaftsjournalismus aufgenommen; auch das nächste Frühjahresseminar wird erneut „moderne“ Formen des Journalismus unter die Lupe nehmen.
Natürlich ist dies nicht der „laute Protest“, den Beat in seinem Blog erwartet. Doch einen lauten Protest hat es auch in anderen Fällen nicht gegeben – zum Beispiel Ende der 1990er-Jahre, als Beat Präsident des SKWJ war und die ersten Budgetkürzungen realisiert wurden.
Ich möchte als Antwort auf den Eintrag von Beat einiges klarstellen: Natürlich soll sich der Klub für die Stärkung des Wissenschaftsjournalismus einsetzen, bloss geht es letztlich darum, welche Wirkung dabei erzielt wird, und nicht wie laut man poltert.
Im Moment werden Innlandjournalisten entlassen, Auslandkorrespondenten, Sportreporter, Kulturredaktoren und Wissenschaftsjournalisten. In diesem Umfeld halte ich eine Protestnote der Wissenschaftsjournalisten erstens für wirkungslos und zweitens für lächerlich. Aber ich lasse mich gerne belehren, wie ein wirkungsvoller Protest aussehen könnte.
Was soll der Klub also tun? Erstens sollte er seinen Mitgliedern, die um einen Abbau bei der Wissenschaft fürchten, Argumentationshilfe bieten. Micheal Breu hat ja einmal ziemlich viel Material dazu gesammelt (Leserbefragungen, Beliebtheitsranglisten, Statements für den Wissenschaftsjournalismus). Soweit ich mich erinnere, wurde dieses Material im einen oder anderen Fall auch erfolgreich benutzt. Vielleicht wäre es sinnvoll, eine kurze knackige Zusammenfassung davon auf unserer Website zu publizieren (die Beliebtheit der Wissensteile der Sonntagszeitungen ist meines Wissens ungebrochen).
Ich teile Beats Ansicht, dass in Zukunft ganz neue Allianzen geschmiedet werden. Welche Haltung der Klub dazu einnehmen soll, ist eine interessante Frage. Nach unserer Statuten, ist der Fall relativ klar:
Art 3: Der Klub will durch seine Tätigkeit zu einer verantwortungsvollen, sachgerechten und unabhängigen Berichterstattung aus dem gesamten Bereich der Wissenschaft, der Medizin, der Technik und der Wissenschaftspolitik in allen Publikumsmedien beitragen.
Viele der neuen Modelle sind weit von einer „unabhängigen Berichterstattung“ entfernt. Die von Beat eingefädelte Finanzierung einer Wissenschaftsredaktorenstelle bei der SDA ist durch den Nationalfonds ist ein Beispiel dafür. Wenn man die Statuten beim Buchstaben nimmt, hätte der Klub eigentlich dagegen laut protestieren müssen.
Aber ist das sinnvoll, wenn wir in Zukunft nur die Wahl zwischen einer irgendwie abhängigen Berichterstattung oder gar keiner haben? Diese Frage lässt sich wohl je länger desto weniger pauschal beantworten und muss in jedem Einzelfall neu diskutiert werden. Dafür wären gewisse Leitplanken nötig, die wichtigste davon: Transparenz. Wenn es schon nicht mehr möglich sein soll, unabhängig zu berichten, soll der Leser wenigstens wissen, wer den Journalisten bezahlt.
Vielleicht wäre es interessant, an einem Klubanlass verschiedene solche Fallbeispiele (aus der Schweiz und dem Ausland) zu diskutieren, um sie besser einordnen und beurteilen zu können.
Noch etwas an Beat zu den Umgangsformen in diesem Forum: Mein Anliegen hat nichts mit einem „moralischen Zeigefinger“ zu tun sondern mit dem Wunsch nach weniger unreflektierter Provokation und einem weniger schroffen Ton. Ob dieses Anliegen berechtigt ist, mögen die anderen Leser des Science-Sofa beurteilen. Ich weiss jedenfalls, dass ich mit diesem Wunsch nicht der alleine bin, und dass es Leute gibt, die schon gar nicht in so eine Diskussion einsteigen, und das kann ja wohl nicht der Sinn der Sache sein.
Übrigens drüben bei Dave Winer, Mastermind hinter RSS und – davon abgeleitet – Podcasting, läuft ebenfalls gerade die eine und andere lebhafte Diskussion über das Ende des Journalismus as we know it. Und vor allem in den Kommentaren hat’s einige beissende Analysen, die den Nagel recht zielgenau auf den Kopf treffen. Es wird ungemütlich werden, das steht fest. Vielleicht nicht für alle, vielleicht nicht überall. Aber weit herum. Bis sich neue Spielregeln etabliert haben. Zum Thema Allianzen: Warum nicht forsch behaupten, guter Journalismus sei wissenschaftlicher Forschung ebenbürtig? Mit allen Konsequenzen. Bin sehr gespannt auf das Frühjahrsseminar und wie es „‚moderne‘ Formen des Journalismus unter die Lupe nehmen“ wird! Auch Ronnie Grob hat unlängst in der NZZ dazu geschrieben.