„Unser Wissensstand ist heute nahezu perfekt“ titelt ETH Life. Gerade so gut könnte eine Baufirma schreiben „Es ist eigentlich alles gebaut“. Und man erwartet den Untertitel: „Wir stellen den Betrieb ein.“
Beim Öffnen des Artikels wird schnell klar, dass es nicht um Alles und Jedes geht, sondern um die Kernenergie. Genauer um ein Interview mit Horst-Michael Prasser vom Labor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich. Und noch genauer um die Sicherheit von Leichtwasserreaktoren – das ganze Zitat: „Ich glaube wir können den Wissensstand in Bezug auf die Sicherheit von Leichtwasserreaktoren heute als nahezu perfekt betrachten.“
Wie merkt man, dass ein Wissensstand nahezu perfekt ist? Wie würde ein perfekter Wissensstand in Bezug auf die Sicherheit von Leichtwasserreaktoren aussehen? Zum einen bräuchte man Wissen über Technik und Physik, was hier wohl gemeint ist. Die Gehirnfunktionen der Betreiber müsste man kennen. Alle möglichen terroristischen Attacken – oder zumindest alle geplanten. Die künftigen Treffer von Meteoriten. Das Kommen und Gehen von Ausserirdischen und ihre Absichten….
Wichtiger ist vielleicht die Frage, was die Aussage bei mir als Leser bewirkt. Da denkt einer rein technologisch, denke ich. Und: Da möchte mich einer beruhigen. Zudem: Wenn man ja eigentlich alles weiss über die Sicherheit von Leichtwasserreaktoren, muss man kein Geld für die Sicherheitsforschung verschwenden. Betrieb einstellen, also doch.
Die grösste Kunst in der Risikokommunikation: Sagen, was man nicht weiss.
Die Kernenergie gehört seit über 30 Jahren zum Alltag. Der Betrieb von Leichtwasserreaktoren gilt als sehr sicher, verglichen mit den Risiken durch andere Industrieanlagen.
Frankreich erzeugt seit vielen Jahren über 75 % seiner Elektrizität mit Leichtwassereaktoren. Nachteile sind nicht bekannt. Die Grafitreaktoren (wie Tschernobyl) in Grossbritannien und Osteuropa sterben aus, da sie nicht mehr wirtschaftlich sind. Grosse Länder wie die USA, Russland, Japan, China und Indien setzen aus ökonomischen wie ökologischen Gründen auf die Kernenergie. Auch bei uns sterben die Kernenergie- Gegner allmählich aus, oder werden zumindest altershalber ruhiger.
@Markus Alder: Danke für den Kommentar. Ich gehe auch davon aus (obwohl ich mich da nicht besonders gut auskenne), dass Leichtwasserreaktoren sicher sind. Mir geht es darum, dass man nicht einen nahezu perfekten Wissensstand postulieren kann – und soll. Da die Diskussion rund um Kernkraftwerke wieder an Fahrt gewinnt, werden solche unhaltbaren Aussagen schnell zu Stolpersteinen. Gerade die Wissenschaft und die wissenschaftlichen Institutionen sollten in dieser Diskussion nahe bei den Fakten bleiben und ihre Glaubwürdigkeit sicherstellen.
Ich möchte meine Einschätzung, der Wissensstand bei der Sicherheit von Leichtwasserreaktoren sei „nahezu perfekt“ verteidigen. Meine Meinungsäusserung hierzu ist im Diskussionsforum von ETHZ Life zu finden:
http://www.ethlife.ethz.ch/archive_articles/081218_prasser_interview/Atomenergie/0
Nennen Sie mir 1 überzeugendes Argument, warum das Klumpenrisiko AKW vernünftigerweise im 21sten Jahrhundert überhaupt noch eingegangen werden soll! Im ganzen Prozess von der Uran-Exploration bis zur Endlagerung des radioaktiven Abfalls produziert und nährt die Technologie Problemquellen ohne Ende. Einige Stichworte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Gleichwertigkeit: Ausbeutung, Bestechung, Krankheit, Terrorismus, Überwachung, Finanzspekulation, Proliferation, Monopolismus, single point of failure, Abhängigkeit, Zentralismus, Innovationsfeindlichkeit usw. usf.
Prasser argumentierte als Mitglied des Vorstands der deutschen Lobbyorganisation „Kerntechnische Gesellschaft eV.“ 2001 noch mit Dick Cheney (http://bit.ly/k6b4): „Das angestrebte Verbot der friedlichen Nutzung der Kernenergie per Atomgesetz ist ein Rückfall ins Mittelalter und mit den Grundsätzen eines liberalisierten Energiemarkts nicht vereinbar. Es wird angesichts der vielen Kernkraftwerke, die in unseren Nachbarländern erfolgreich betrieben werden, zur Farce. Den Worten des US-Vicepräsidenten Dick Cheney ist in diesem Zusammenhang nichts hinzuzufügen: ‚Wer Emissionen reduzieren will, der sollte Atomkraftwerke bauen‘. Das Entsetzen von Bundesumweltminister Trittin angesichts des Comebacks der Kernenergie in den USA zeigt lediglich, wie weit er von der Realität entfernt ist.“ Soweit, dass ihm nur mit Mittelalter und Cheney argumentativ beizukommen ist?
2008 klingt Cheney als Echo in Prassers Forumlierung im Interview mit ETHlife nach: „Die Kernenergie kann im Kampf gegen den Klimawandel einen wichtigen Beitrag leisten, indem fossile Energieträger durch Strom ersetzt werden.“ Natürlich sagt er dort auch: „Ich bin (…) ein Verfechter der erneuerbaren Energien – es wäre Wahnsinn nicht diesen Weg einzuschlagen.“ Nur um gleich nachzuschieben: „Meiner Meinung nach ist es gefährlich zu glauben die erneuerbaren Energien könnten sowohl den ansteigenden Energiebedarf abdecken als auch die Kernenergie und die fossilen Brennstoffe ersetzen. Erneuerbare Energien und Kernenergie müssen Hand in Hand gehen. Die Kosten von neuen KKWs sind dabei im Vergleich zum Nutzen den sie der Gesellschaft bringen relativ gering.“ Insofern ist Prasser mit seiner rhetorischen Doppelstrategie (sowohl Cheney, als auch, äh, Aargauer FDP gemäss http://www.umweltrating.ch/) natürlich der richtige Mann am richtigen Ort.
Der unverdächtige Walter Müller von der „Enerprice Partners AG“ („Die Enerprice Partners AG vertritt die Interessen der schweizerischen Energiekonsumenten. Sie bietet mit der IG-Strom den Stromkonsumenten an, sich an Kraftwerken zu beteiligen und sich dadurch die langfristige Stromversorgung zu kalkulierbaren Preisen zu sichern.“) rechnete an der nuclea08 des Nuklearforums Schweiz (http://www.nuclea.ch/_upl/files/Muller.pdf) den Anwesenden vor: „Es ist absolut verständlich, dass die schweizerische Elektrizitätswirtschaft neue Kernkraftwerke bauen will. Bei Produktionskosten von 7,0 Rp und einem Marktpreis von erwarteten 11,6 Rp oder mehr eine lohnende Investition.“ Er meinte abschliessend: „Es ist bekanntlich so, dass nicht alle Stimmbürger in diesem Land Freude an neuen Kraftwerken haben, speziell nicht an Kernkraftwerken. Selbst wenn alle finanziellen und technischen Fragen gelöst werden können, am Referendum kommt kein neues Kernkraftwerkprojekt vorbei. Wie wird eine Abstimmung herauskommen, wenn Nutzen und Gewinn einseitig bei der Stromwirschaft liegen und Kosten in Form hoher Strompreise und kontroverser Technologie bei der Öffentlichkeit anfallen?“ Ergänzen wir die oben aufgezählten Problemquellen, die die Atomtechnologie nährt und produziert um die „Profitgier“ und ihre Folgen.
Mein Schluss ist ein gegenteiliger: Die Kosten von neuen AKWs sind im Vergleich zum Nutzen den sie der Gesellschaft bringen unvertrebar hoch! Egal, ob der Wissensstand um den Leichtwasserreaktor „nahezu perfekt“ ist oder nicht. Denn dieses Argument trifft nur einen kleinen Teil der ganzen Problematik.
Bei all dem, was Herr Tschudin der Kernenergie anlastet (Ausbeutung, Bestechung, Krankheit, Terrorismus, Überwachung, Finanzspekulation, Proliferation, Monopolismus, single point of failure, Abhängigkeit, Zentralismus, Innovationsfeindlichkeit) soll mir wirklich mal einer erklären, warum es Ländern, die Kernenergie im Mix haben, und den Menschen in diesen Ländern, gut geht. Ich lese hier nur einen einzigen Punkt heraus, der etwas spezielles mit der Kernenergie zu tun haben könnte: „single point of failure“, und der genau ist falsch. Keine Kernanlage havariert wegen einem Einzelfehler.
Herr Tschudin hat Schwierigkeiten mit Profit. Nun, wenn der Profit mit Nutzen für die Gemeinschaft verbunden ist, und preisgünstigen Strom wird man wohl einen Nutzeffekt zubilligen können, wird er im allgemeinen als ein Element des Kapitalismus gepriesen, der zu dessen Selbstregulierung beiträgt. Ich frage mich immer, wieso man in Zeitungen und im Internet Announcen findet über die blendenden Redinteaussichten für Investitionen im Bereich der Regenerativen Energien und hier kein Tschudin aufschreit.
Denkverbote, und genau das passierte, als in Deutschland im Rahmen des Atomausstiegs die staatlich geförderte und damit freie (Grundgesetz) Forschung für neue Reaktortypen verboten wurde, sind nichts anderes, als ein Rückfall ins Mittelalter. Ich stehe darüber hinaus weiter auf dem personlichen Standpunkt, dass es auch ein Rückfall ins Mittelalter ist, wenn nicht wenigstens ein Rückfall in die Zeiten der Maschinenstürmerei, wenn die Nutzung der Kernenergie gesetzlich verboten wird.
Wenn Herr Tschudin behauptet, ich würde lediglich eine rethorische Doppelstrategie betreiben, wenn ich gleichermassen für Kernenergie, Regenerative und effizienten Energieeinsatz bin, dann ist das schlicht eine Frechheit. Die Kernenergie verbindet Wirtschaflichkeit mit geringen Umweltauswirkungen. Bei etwa 90 % der Primärenergie, die weltweit aus fossilen Energieträgern gewonnen wird, Absolutzahlen steigend, gibt es keine vernünftige Alternative zur Nutzung aller zur Verfügung stehender Technologien, um die Fossilen zurückzudrängen. Ich behaupte ja auch nicht, dass Herr Tschudin seine Priorität eher auf die Ablehnung der kernenergie setzt, als auf das Eintreten für eine umwelt- und klimafreundliche Energieversorgung.
Ich möchte mich noch einmal zu Wort melden. Eine weitere Lesermeinung hat mir zu denken gegeben. Eine Frau macht sich ernsthafte Sorgen wegen der Ergebnisse von Kinderleukämiestudien und vergleicht mit den Verboten von Asbest. Das Beispiel Asbest zeigt, dass es Technologien gibt, die verboten gehören. Deshalb ist mein Vergleich des Ausstiegs aus der Kernenergie mit einem Rückfall ins Mittelalter nicht haltbar. Er muss von ernsthaft über die Sicherheit und die Umweltauswirkungen der Kernenergie besorgten Menschen als Beleidigung empfunden werden und das liegt mir fern. Ich möchte die Bemerkung zurückziehen und mich entschuldigen.
Auch ist es falsch, demokratische Entscheidungen als Rückfall ins Mittelalter zu titulieren. Das wäre in meinem Vergleich implizit enthalten, sollte sich eine Mehrheit gegen neue Kernkraftwerke wenden. Ich halte politische Entscheidungen gegen die Kernenergie für falsch und würde sie kritisieren, möchte sie aber nicht diffamieren.
Der Unterschied zwischen Asbest und der Kernenergie besteht darin, dass die Schädlichkeit von Asbest bewiesen ist. Die Kernenergie hingegen liegt bei den Studien zur Lebenszyklusanalyse zusammen mit der Windenergie und der Wasserkraft an der Spitze der Umweltfreundlichkeit. Ersetzt man Kernenergie, z.B. durch Solarzellen, dann gibt es unterm Strich mehr Emissionen schädlicher Stoffe, weil bei der Produktion der Kollektoren bezogen auf die später produzierte Energiemenge viel mehr Rohstoffe wie Eisen und Kupfer benötigt werden, aber auch viele Chemikalien, die in der Halbleitertechnik eingesetzt werden. Der grosse Unterschied bei den konventionellen Umweltbelastungen schlägt bei den rechnerisch ermittelten Auswirkungen auf die Gesundheit stärker zu Buche, als die geringe zusätzliche Strahlenexposition aus der Energieumwandlungskette der Kernkraft. Die Photovoltaik sollte deshalb nicht Kernenergie, sondern fossile Energieträger ersetzen.
Eine Erhöhung der Leukämiehäufigkeit infolge der von Kernkraftwerken freigesetzten geringen ionisierenden Strahlung ist nicht beweisen, im Gegenteil: Die Strahlenexposition in der Umgebung von Kernkraftwerken ist um Grössenordnungen zu niedrig, um die beobachteten statistischen Leukämiehäufungen zu erklären. Zu diesem Schluss kommen auch die Autoren der Kinderleukämiestudies KiKK vom Dezember 2007. Es fehlt also die Erklärung des Wirkmechanismus, wogegen beim Asbest nicht nur epidemiologisch viel klarere Daten vorliegen, sondern auch der Schädigungsmechanismus der Asbestfasern bei den typischerweise auftretenden Konzentrationen bekannt ist. Sollten sich die Häufungen von Leukämiefällen in der Umgebung von Kernkraftwerken bestätigen und es werden andere Gründe gefunden, sagen wir Elektrosmog (was ich persönlich nicht für sehr wahrscheinlich halte), so würde es viele verschiedene Energietechnologien oder auch ganz andere zivilisatorische Errungenschaften (Verkehrssysteme mit Oberleitungen…) treffen, die dann unter die Lupe genommen werden müssten, nicht die Kernenergie als solche. Ich behaupte, Züge und Elektrizität würde dann niemand abschaffen wollen. Man würde vielmehr Kraft daran setzen, um Verbesserungen zu entwickeln und einzusetzen, die die negativen Auswirkungen verringern. Für mich ist es schon bedenklich, wenn Kernkraftgegner bei jeder Gelegenheit den Ausstieg anstelle der Verbesserung der Technologie fordern. Aber das alles sind pure Spekulationen. Viele Kritiker der Studie meinen, die vorgefundenen Häufungen können wegen der kleinen Fallzahlen nicht von statistischen Schwankungen auseinandergehalten werden.
Meine ausführliche Duplik finden Sie hier:
http://io1.blogspot.com/2009/01/duplik-auf-horst-michael-prasser.html
Für die Ausbildung zum Kerntechnik-Ingenieur benutzen wir den Reaktor CROCUS an der EPF in Lausanne, nicht den Reaktor in Basel. Der Grund: Mit seinen stabförmigen Brennelementen kommt CROCUS vom Aufbau her einem Leistungsreaktor näher und ist deshalb für Studenten besser geeignet. Wieso schreibt Herr Tschudin dann, der Ausbildungsreaktor würde „wohl jener älteste Atomreaktor der Schweiz mitten in Basel sein mit seinem zwar kleinen Kern, aber dafür aus hochangereichertem, waffenfähigem Uran“? Die Antwort: Das passt besser in sein Konzept. Die Links, die er selber zitiert (http://www.master-nuclear.ch/) wird er sich ja angesehen haben, und da ist CROCUS mit erklärender Bildunterschrift gleich auf der Frontpage zu sehen. Solche „Fehler“ untergraben die Glaubwürdigkeit, meine ich.
Patrik, wieso in aller Welt würdest Du dem Nachwuchs vom Journalismus abraten? Mit kollegialem Gruss Stefan
Ich möchte mich nicht um eine Antwort auf die Fragen, oder besser Behauptungen von Herrn Tschudin drücken, auch wenn es etwas länger gedauert hat und wenn es nun vielleicht kaum noch jemand liest.
Ich halte es für eine masslose Übertreibung, wenn behauptet wird, die Urangewinnung verseuche weite Landstriche. Nehmen wir einmal die Mine Rössing, die heute Uranerz mit einer der niedrigsten Konzentrationen weltweit fördert, dort nämlich ungefähr 300 ppm. Man sollte annehmen, dass diese Mine nun den grössten spezifischen Flächenbedarf hat. Die Mine hat derzeit eine lizensierte Gesamtfläche von 18 Quadratkilometern, von der jedoch nur ein Teil für den Tagebau, die Prozessanlagen, den Abraum und den Abfall genutzt wird. Die Fläche von Namibia beträgt 824’292 Quadratkilometer, die Mine beansprucht folglich 0.002 % des Landes. Oder um noch ein Zahlenspiel zu bringen, 18 Quadratkilometer sind die Fläche, die von einer 500 km langen Autobahn bedeckt wird. Mit Solarzellen bedeckt, würde man auf dieser Fläche unter guten Bedingungen jährlich etwa 2.5 TWh produzieren. Aus der Jahresproduktion von Rössing macht man mit heutigen Leichtwasserreaktoren 150 TWh, also 60 mal mehr.
Im Jahre 2007 erweiterte sich die durch Abbau, Aufbereitung und Abfall beeinträchtige Fläche in Rössing um etwa 10 ha = 0.01 Quadratkilometer = 10’000 Quadratmeter. Produziert wurden im gleichen Zeitraum etwa 3000 Tonnen Natururan = 3 Mio. kg. Aus einem Kilogramm Natururan macht man mit heutigen Leichtwasserreaktoren etwa 50’000 kWh = 0.05 GWh. Damit lag der spezifische Landverbrauch 2007 in Rössing bei 10’000 / 3’000’000 / 0.05 GWh = 0.067 m2/GWh. Der Gesamtlandbedarf der Kerntechnik liegt nach einer Analyse Hirschberg et al. (2008) (http://gabe.web.psi.ch/pdfs/PSI_Report/ILK%20-%20PSI%20Report%2004-15.pdf) für UCTE-Länder (union for the co-ordination of transmission of electricity) bei ca. 7 qm/GWh. Wenn alles Uran aus Rössing käme, würde der jährliche Zuwachs weniger als 1 % beitragen. Der Flächenbedarf bei allen anderen Energieerzeugungstechnologien, einschliesslich der Erneuerbaren ist um ein Vielfaches höher: Braunkohle: 57 qm/GWh, Steinkohle: 110 qm/GWh, Öl: 315 qm/GWh, Erdgas: 56 qm/GWh, Wasserkraft: 50 qm/GWh Wind: 27 qm/GWh, Solar PV: 43 qm/GWh.
Nun kann man erwidern, dass in der Uranmine Radioaktivität freigesetzt wird, bei den anderen Technologien nicht. Das ist jedoch nicht so einfach. Vielleicht sei hier einmal der Vergleich mit der Steinkohle gestattet, denn die Kernenergie ist, wie man heute am Beispiel Deutschland sieht, ja ein Konkurrent zur Steinkohle, deren Verstromung dort nun unter Atomausstiegsbedingungen wieder kräftig angekurbelt wird. Weltweit werden derzeit etwa 5540 Mio Tonnen Steinkohle gefördert. Sie enthalten mindestens 2-3 ppm Uran, oft auch mehr. Verglichen mit dem Uranverbrauch der Kernkraftwerke, der weltweit bei 66’500 Tonnen pro Jahr liegt, wird mit der heute meist energetisch verwendeten Kohle also mindestens zwischen 11’000 und 16’000 Tonnen Uran mitgefördert. Das sind 16 – 24 % des weltweiten Uranbedarfs. Zusammen mit den in der Kohle enthaltenen Zerfallsprodukten der Uranreihen entweicht ein grosser Teil der Radiotoxizität auch heute noch ungehindert und unkontrolliert aus den Kohlekraftwerken, während in der Kernenergie vielfältige Barrierensysteme den Ausstoss von radioaktiven Stoffen begrenzen. Auch in Uranminen werden heute Prozessschritte vorgesehen, um z.B. die Radonemissionen aus den Absetzbecken einzudämmen, z.B. durch Fällung des im Abwasserstrom enthaltenen Radiums mit Sulphationen. Nichts davon passiert bei der Kohle – das könnte man sich bei den grossen Massenströmen auch gar nicht leisten. Wo sind die Kritiker, wie Tschudin?
Aber auch Kupfererz ist nicht frei von Radiotoxizität. Im Schlesischen Becken z.B. sind es 60 ppm Uran, die das dortige Kupfererz enthält. Das dürfe weltweit etwa typisch sein. Nebenbei: Das Erz hätte damit etwa den „Heizwert“ von Steinkohle im Leichtwasserreaktor. Bei 2 % Kupfer im Erz werden folglich je Tonne Kupfer etwa 3 kg Uran ungenutzt mit ans Tageslicht gefördert. Wenn man nun noch bedenkt, dass der Kupferbedarf bei der Photovoltaik etwa 45 mal und bei der Windenergie etwa 8 mal grösser ist als bei der Kernenergie, dann wird klar, dass selbst in diesem Bereichen radioaktive Emissionen stattfinden. Allerdings ist es weniger die Radioaktivität, als die ganz normalen toxischen Substanzen, die bei den Regenerativen mit Ausnahme der Windkraft im „Lifecycle“ zu deutlich höheren Umwelt- und Gesundheitsbelastungen führen, als bei der Kernenergie. Sie steht mit Wind und Wasserkraft hier an der Spitze in Sachen Umweltverträglichkeit, auch nach der kürzlich veröffentlichten gründlichen Neubewertung der Uranminen durch Doka (2008) (siehe http://www.doka.ch/PSIuraniumtailingsDoka.pdf). Trotzdem: Ich möchte hier nicht gegen den Ausbau der regenerativen Energiequellen argumentieren. Man sollte nur wissen, dass es Energie nirgends zum ökologischen Nulltarif gibt.
In Europa brachte die Urangewinnung tatsächlich bereits tausende Menschen um. Das ist ausschliesslich auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen zurückzuführen, unter denen die WISMUT, ein Betrieb der damaligen Sowjetunion, der das Uran in Ostdeutschland und auch in der damaligen Tschechoslowakei für das russische Waffenprogramm abbaute. Herr Tschudin lässt diese Einschränkung vorsichtshalber weg. Solche Bedingungen herrschen jedoch heute in keiner Uranmine mehr. Interessant ist, dass die Kosten für die Sanierung der WISMUT-Altlasten einen Einblick zulässt, inwieweit sich Umweltschutzmassnahmen auf den Uranpreis auswirken. Deutschland hat die WISMUT-Altlasten mit Steuermitteln in Höhe von etwa 11 Mrd. DM (also 6 Mrd. EUR) saniert. Die WISMUT hat aber etwa 250’000 Tonnen Natururan gefördert, eine Menge mit der man die Schweizer Kernkraftwerke über 500 Jahre mit Brennstoff versorgen könnte. Das bedeutet, die Sanierung hat 6 Mrd. / 250 Mio kg = 24 EUR / kg Natururan gekostet. Aus einem Kilogramm Natururan machen die heutigen Leichtwasserreaktoren, wie schon gesagt, etwa 50’000 kWh. Die nachträgliche Sanierung kostete somit etwa 24 EUR / 40’000 kWh = 0.048 Cent oder eben etwa 0.072 Rappen, wohlgemerkt, wenn das Uran ausschliesslich für energetische Zwecke genutzt worden wäre. Es dürfe einleuchten, dass Umwelt- und Arbeitsschutzmassnahmen, die direkt in den Minenbetrieb integriert werden, deutlich weniger kosten sollten, als eine nachträgliche Sanierung. Dabei muss man ja wegräumen oder eindämmen, was bereits weiträumig verteilt vorliegt, während von vorn herein geplante Massnahmen und Anlagen an der Quelle der Schadstoffströme ansetzen können (wie z.B. die schon genannte Radium-Fällung im Uranbergbau). Damit liefert die WISMUT nachträglich ein starkes Indiz dafür, dass es keinen ökonomischen Grund gibt, der gegen einen vernünftig gemachten Uranbergbau spricht.
Leider geht mir nun die Zeit aus und ich muss die Diskussion der weiteren Punkte, die Herr Tschudin aufgeworfen hat, noch etwas verschieben.
Herr Tschudin hat Recht: Uran ist zwar nicht erneuerbar, es ist aber genügend Kernbrennstoff vorhanden, um über sehr lange Zeiträume Kernenergie zur Deckung eines signifikanten Beitrags des Energiebedarfs der Menschheit einzusetzen. Der Zeitraum selbst ist extrem technologieabhängig, sowohl im Kraftwerk als auch in den Minen. Die heutigen Leichtwasserreaktoren verwenden weniger als 1 % des Natururans. Gespalten wird vorrangig das zu 0.7 % enthaltene Isotop U-235, aber auch aus dem U-238, das zu 99.3 % den grössten Anteil bildet, wird Energie gewonnen. U-238 wird eigentlich immer als nichtspaltbar bezeichnet. Etwas davon wird aber durch schnelle Neutronen direkt gespalten, ein bedeutender Anteil wird aber durch Neutroneneinfang in Plutonium umgewandelt, das auch im heutigen Leichtwasserreaktor zur Energiegewinnung beiträgt. Dafür gibt es in den Abfallströmen noch unverbrauchtes U-235, viel U-238 und weiterhin noch einige aus U-238 erbrütete Spaltnuklide, allen voran das Plutonium 239. Auch gibt es ein Abprodukt aus der Urananreicherung, das abgereicherte Uran, das hauptsächlich aus U-238 besteht. Es liegt in grossen Mengen auf Lager.
Mit dieser Brennstoffbilanz und den heute durch entsprechende Erkundungsprogramme gesicherten Uranvorkommen kommt man bei gleichbleibendem Verbrauch auf eine sogenannte statische Reichweite von etwa 80 Jahren. Hinzu kommen einerseits spekulative Ressourcen, bei denen aus geologischen Analogieüberlegungen davon ausgegangen wird, dass bestimmte Formationen Uran enthalten könnten, wobei die Abschätzung der Menge auf Erfahrungen der Vergangenheit beruht. Sie haben eine statische Reichweite von vielleicht weiteren 160 Jahren und warten auf ihre Erkundung. Über die vergangenen Jahrzehnte wurde permanent deutlich mehr Uran gefunden als verbraucht wird. Dieser Trend hält an. Andererseits gibt es viele sogenannte unkonventionelle Uranvorkommen, wie Uran in anderen Erzen (z.B. Kupfer, Phosphate, auch in der Steinkohle), niedrig konzentrierte Uranvorkommen, z.B. in den Chattanooga Shales in USA oder auch im Meerwasser. Für alle diese Vorkommen wurde bereits nachgewiesen, dass eine Ausbeutung technisch möglich, meist jedoch wegen der preiswerten konventionellen Ressourcen noch nicht konkurrenzfähig ist. Hier reden wir über statische Reichweiten ganz grob in der Gegend von zehntausend Jahren. Wichtig ist, dass der hier zu erwartende Anstieg der Uranpreises keine gravierenden Auswirkungen auf den Preis der Endenergie, als z.B. der Kilowattstunde haben wird, weil der Anteil des Uranpreises am Energiepreis gering ist.
Es gibt also genügend Uran für Zeiträume, die grösser sind, als der Zeitraum in dem bisher die wissenschaftlich-technische Entwicklung der Kernenergie stattgefunden hat. Man darf also annehmen, dass eine weitere gravierende Verbesserung der Technologie möglich sein wird, bevor heutigen Leichtwasserreaktoren der Brennstoff ausgeht. Schon heute ist die Technologie für eine extreme Verbesserung der Brennstoffauslastung bekannt und mehr als das, grosstechnisch erprobt. Es handelt sich um sogenannte schnelle Brutreaktoren. Hier ist man mit Prototyp-Anlagen in einem Leistungsbereich von bis zu 600 Megawatt. Zum Vergleich: Das ist mehr als eine Grössenordnung mehr, als bei der Abtrennung und Speicherung des CO2 in Kohlekraftwerken, wo heute eine einzelne Versuchsanlage mit einer Leistung von 30 MW existiert.
„Schnell“ bedeutet, dass diese Reaktoren keinen Moderator zur Abbremsung der Neutronen haben. Man muss also starker angereicherten Brennstoff einladen, sonst bekommt man die Kettenreaktion nicht in Gang. Aber bei der Spaltung mit schnellen Neutronen entstehen dafür mehr Spaltneutronen, so dass ein grösserer Anteil vorhanden ist, der nicht für die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion benötigt wird. Mit diesen Neutronen kann man mehr U-238 in Plutonium umwandeln, als man zum Betrieb des Reaktors verbraucht. Somit wird es möglich, nicht mehr nur einen kleinen Teil des U-238 für die Energieerzeugung nutzt, sondern den Grossteil davon. Entsprechend verlängern sich die Reichweiten der Uranvorkommen, und zwar etwa um einen Faktor 50. Wir sind also schon in Bereichen von hunderttausenden Jahren. Da auch abgereichertes Uran in diesen Prozess eingespeist werden kann, werden plötzlich die vorhandenen Lagerbestände (s. oben) für die Energiegewinnung nutzbar. Allein dieser Brennstoff würde schon heute viele tausend Jahre reichen.
Nun kann man behaupten, die Brütertechnologie wird den Durchbruch nie schaffen. Genau das tun die Atomkraftgegner. Es gibt im Moment viel Forschung auf diesem Gebiet, tatsächlich jedoch nur zwei laufende Kraftwerke dieser Art (ein weiteres ist in Reparatur), aber das liegt daran, dass es kaum ein wirtschaftliches Interesse an Brüten gibt. Natururan ist noch billig und reichlich vorhanden. Erbrüteter Brennstoff hingegen ist teuerer, als Brennelemente aus frischem Uran. Wir reden aber hier über die langfristigen Potenzen der Kernkraft, und mit zunehmendem Uranpreis wird brüten attraktiver. Die stark verkürzte Feststellung von Herrn Tschudin, Uran sei nicht erneuerbar, führt in die falsche Richtung, denn sie wirft Uran in den gleichen Topf mit Erdöl, Gas und Kohle. Die Kernenergie wird von Gegnern gern als veraltetes Auslaufmodell dargestellt. Das ist nicht so, denn es gibt, wie dargestellt, riesige Entwicklungspotentiale. Es ist Skepsis anzuraten, wenn Protagonisten erneuerbarer Energien bei der Bewertung der Potenzen ihre Technologien den projizierten Stand der Entwicklung in einigen Jahrzehnten der Bewertung der Kernenergie anhand des Standes in der 60ger und 70ger Jahren (dort ist Tschernobyl anzusiedeln) entgegenstellen. Ich behaupte, die Kernenergie steht heute in Fragen Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit, Ressourcenverfügbarkeit und Sicherheit gut da und wird in Zukunft ihre Konkurrenzfähigkeit weiter ausbauen, es sei den, sie wird politisch daran gehindert.
Das zur Frage, ob die Tatsache, das Uran nicht erneuerbar ist, für die heutige Debatte eine Rolle spielt. Meine zusammenfassende Antwort ist nein.
Horstmichael Prasser hat schon recht. Die Kernenergie ist umweltfreundlich, ergiebig und nachhaltig!
Da muss man etwas dafür getan werden.
Beznau 3, Gösgen 2 , Mühleberg 2 und Kaiseraugst müssen dringend gebaut werden.
Sehr geehrter Herr Prasser
Wir hatten uns ja schon privat über die Sicherheitsrisiken der Atomenergie unterhalten. Die jüngsten Ereignisse in Japan stellen aber doch sehr viele Fragen – und mich nähme mal Wunder, wie Sie Ihre Aussage «Unser Wissensstand ist heute nahezu perfekt» heute noch rechtfertigen.
Mit freundlichen Grüssen
@ Guntram Rehsche
Vielleicht könnte man folgende beiden Artikel als Herrn Prassers Antwort betrachten:
http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/kernschmelzen_galten_als_hypothetisch_und_nicht_beherrschbar_1.10012744.html
http://www.nzz.ch/nachrichten/hintergrund/wissenschaft/antwort_auf_leser-diskussion_1.10022130.html