Der Düsseldorfer Philosoph Bernward Gesang hat sich an das Thema „Perfektionierung des Menschen“ herangewagt. Ich habe mit ihm über Ablehnung, Stolpersteine und die Zukunft der Debatte gesprochen. Weiteres zu seinem Buch: Perfektionierung des Menschen – ein Diskussionsraster.
Tonhappen: Bernward Gesang im Interview
„Perfektionierung des Menschen“ – weshalb braucht es das Buch jetzt?
Seit 2001 dringt die Enhancement-Debatte, die in den USA bereits seit Anfang der 90er geführt wird, auch nach Europa bzw. in den deutschsprachigen Raum vor. Es gibt diverse Publikationen und vor allem sehr viele Tagungen zum Thema. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung etwa hat 2005 zwei Klausurwochen gesponsert, in denen es um die sozialen Folgen und die Natürlichkeit von Enhancement ging. Das ist die einzige Debatte in der Medizinethik, die aufgrund neuer technischer Möglichkeiten erst jetzt aufkommt und nicht schon seit 30 Jahren geführt wird. Dieses Neuland zu bestellen war für mich die Motivation. Einmal nicht reagieren zu müssen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern agieren zu können, bevor die Techniken auf dem Markt sind und damit die Einflussmöglichkeiten zu steigern.
Wie hat man in Fachkreisen und in der breiten Öffentlichkeit auf das Buch reagiert?
In Fachkreisen ist das kein grosser Stein des Anstosses, da ich ja kein Plädoyer für die Perfektionierung des Menschen geschrieben habe, sondern mich kritisch damit auseinandersetze. Dennoch wurde in der breiten Presse das Buch eben doch als Plädoyer gelesen. Vor allem ein Journalist der Süddeutschen Zeitung hat das Buch klar als Appell missverstanden und jegliche Differenzierung übersehen.
Bei dem Thema steckt man als Autor auch Prügel ein. Es gibt Themen wie das Enhancement, die lösen rasch Intuitionen aus. Das sei was Schreckliches, da werde Frankenstein kreiert, dass ist der Mensch, der Gott spielt. Wenn wir mit Technologien ans Humane rangehen, gibt es im europäischen Kontext reflexartig eine breite Ablehnung. Je länger man jedoch über Enhancement nachdenkt und man sich nicht nur aufs Bauchgefühl verlassen möchte, desto mehr zerbröselt einem die Ursprungsintuition zwischen den Fingern. Viele jedoch sparen sich dieses Nachdenken, weshalb es Ressentiments gibt gegen Leute, die sich auch nur moderat positiv mit dem Thema auseinandersetzen.
In der Erziehung haben wir gelernt, uns so zu mögen, wie wir nun mal sind. Von Perfektionierung zu sprechen heisst aber auch, von unseren Unzulänglichkeiten zu sprechen. Reagieren auch deshalb viele irritiert?
Schon möglich. Umgekehrt versuchen wir mit Erziehung stets die Intelligenz und das Wissen unserer Kinder zu steigern. Wir leben bereits in einer Gesellschaft, die mit dem Status Quo nie zufrieden ist. Befürworter von Perfektionierung sagen deshalb, das ist nur Erziehung mit anderen Mitteln.
Nun definieren Sie Enhancement ja als Eingriff in den Körper. Meine Beobachtung ist, dass dies bei Krankheit gut akzeptiert wird, als Verbesserung bei Gesunden aber verpönt ist. Stimmen Sie zu? Wie erklären Sie sich den Umstand?
Das stimmt sicher für Teile der Gesellschaft. Viele Menschen haben sich mit der Frage schlicht noch nicht auseinandergesetzt. Die Positionen dürften deshalb auch noch nicht stabil sein. Wenn man die Leute mit dem Problem konfrontiert, reagieren viele intuitiv so, dass sie die Methoden für medizinische Zwecke okay finden, als Enhancement aber ablehnen. Auch eine Fachleute ziehen da die normative Grenze, etwa Jürgen Habermas. Für mich geht das nicht auf. Es gibt Menschen, die sind kleinwüchsig, weil ihre Eltern schon klein sind. Andere sind es wegen Hormonstörungen. Weshalb soll man nun im ersten Fall eine Behandlung ablehnen? Die Begriffe Therapie und Krankheit sind zu schwammig. Sie sind im Zentrum zwar klar, jemand mit Lungenkrebs ist krank, an den Rändern aber gar nicht. Schon bei Menschen mit Fettleibigkeit können wir nicht mehr sicher sagen, ob die nun krank sind.
Und dennoch ist diese Grenze zwischen krank und gesund in unserer Kultur zentral.
Man glaubt eben, man befinde sich argumentativ auf sicherem Boden. Das ist ein Irrtum. Im 19. Jahrhundert wird in medizinischen Berichten die Masturbation noch als Todesursache angegeben. Der Begriff der Krankheit hängt stark mit der Weltanschauung zusammen und kann sich wandeln. Das wissen Philosophen an sich. Und dennoch ist es manchmal einfach, sich an intuitiv richtige Grenzen ranzuhängen und diese nicht weiter zu hinterfragen.
In der christlichen Kultur sehen wir uns als Ebenbild Gottes, als Krone der Schöpfung. Hat man in anderen Kulturen mit der Vorstellung, den Menschen zu verbessern, weniger Mühe?
Nehmen wir den Dalai Lama. Er schreibt: „Wenn es möglich wäre negative Gefühle wie Ärger oder Eifersucht neurochirurgisch zu beseitigen, ohne die Intelligenz und den kritischen Geist zu beeinträchtigen, dann wäre ich der erste Patient. Ich habe Jahrzehnte meines Lebens versucht mit Meditation ähnliche Dinge zu erreichen. Diese Zeit hätte ich mir sparen können.“ Ich habe auch gehört, dass man in der japanischen und chinesischen Kultur der Frage wesentlich offener begegnet. In der christlichen Tradition geht man da schnell auf Distanz.
Sie strukturieren in Ihrem Buch nicht nur die kommende Debatte, sondern Sie ziehen am Schluss unter dem Titel „Ergebnisse“ auch Ihre Schlussfolgerungen. Dabei schliessen Sie nur drei Arten von Enhancements kategorisch aus: Den Körper als menschlichen Körper unkenntlich machende Körperverbesserungen, radikale allgemeine und radikale spezifische Mentalverbesserungen. Weshalb diese?
Enhancements sind dann problematisch, wenn sie dem Verbesserten Wettbewerbsvorteile verschaffen und wenn es grosse Sprünge sind, die man mit Erziehung und dergleichen nicht erreichen kann. Damit würde die Chancengleichheit wesentlich unterminiert. Bei erblichen Enhancements könnte dies gar zu einer genetischen Zwei-Klassen-Gesellschaft führen. Stellen Sie sich vor, Teile der Gesellschaft steigern ihren IQ um 100 Punkte. Diese Menschen würden die Schlüsselstellen so effektiv besetzen, das andere dies in keiner Weise aufholen könnten. Dadurch wäre der soziale Friede unterminiert, was es aus ethischer Sicht zu verhindern gilt. Ich halte es zudem für utopisch, dass eine Gesellschaft mit derart grossen Unterschieden auf lange Sicht stabil sein kann.
Sie setzen in Ihrer Argumentation eine liberale, rechtsstaatliche Gesellschaft voraus. Die Technologien würden aber genauso künftigen totalitären Herrschern zur Verfügung stehen.
Wir müssen uns tatsächlich die Frage stellen, ob sich Technologien aufhalten lassen, oder ob wir sowieso immer tun, was wir technisch können. Dann müssen wir uns die ethischen Fragen gar nicht mehr stellen. Stoppen können wir Technologien meiner Meinung nach nicht. Ich halte es aber schon für möglich, den Einsatz staatlich zu regeln. Auch das könnte sich als zu idealistisch erweisen. Vielleicht kann der Staat diese Aufgaben nicht leisten. Im Buch bin ich von idealen Rahmenbedingungen ausgegangen und habe erörtert, was dann ethisch zulässig wäre. Das ist kein Blankoscheck für diese Technologien, selbst wenn die Rahmenbedingungen so gegeben wäre. Man müsste dann immer noch abschätzen, ob sich die Rahmenbedingungen langfristig halten lassen.
Eine Stelle ist mir aufgefallen. Wo Sie meist für ein vorsichtiges Vorgehen mit reversiblen und moderaten Enhancements plädieren, werden Sie im Kapitel „Für unsere Kinder nur das Beste?“ plötzlich resolut: „Gesundheitsverbesserungen und Anti-Aging (…) Hier besteht sogar eine Pflicht der Eltern, ihre Kinder verbessern zu lassen, denn so wird mehr Wohlergehen erzeugt.“ Gesundheitsverbesserung sind wohl noch common sense. Aber Anti-Aging?
Anti-Aging wird oft mit Unsterblichkeit karikiert. Man würde sich dann zu Tode langweilen und jeglichen Antrieb verlieren, weil man alles genauso gut morgen machen könnte. Die Unsterblichkeit steht jedoch überhaupt nicht zur Debatte. Die Lebensspanne des Einzelnen wäre weiterhin endlich, selbst wenn man das Altern völlig stoppen könnte. Für mich ist Anti-Aging nur ein Weiterdenken dessen, was wir in den letzten Jahrhunderten medizinisch bewirkt haben. Wir haben ja die Lebenserwartung von 40,50 Jahren auf heute 80 gesteigert. Wenn man dies begrüsst, kann man auch nicht ablehnen, dies mit Methoden des Enhancements weiterzuführen.
Der Einzelne hat meiner Meinung nach klar ein Interesse möglichst lange zu leben, sofern nicht einfach die Phase der Gebrechlichkeit verlängert wird. Wir sehen das Bedürfnis nach längerem Leben in den gewaltigen Umsätzen der Anti-Aging-Industrie. Der Wunsch ist so stark, dass auch bei offensichtlich ineffektiven Mitteln eine grosse Nachfrage besteht. Bei dem sehr starken Interesse des Einzelnen müsste man argumentativ schon starkes Geschütz auffahren, weshalb man Anti-Aging verbieten sollte. Mir scheint keine der gesellschaftlichen Folgen derart gravierend. Wenn man davon ausgeht, dass die Allermeisten ein längeres Leben als positiv erfahren, sollte man dies etwa auf gentechnische Weise auch bei ungeborenen Kindern tun. Die Kinder würden uns sonst später berechtigte Vorwürfe machen. Zudem sind Anti-Aging-Technologien ja immer nur eine Option, bei der der Einzelne stets die Notbremse ziehen kann. Diese Technologien würden verbreitet Wohlergehen erzeugen, weshalb ich von einer Pflicht der Eltern spreche.
Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre?
Die nächsten Jahre werden noch relativ unspannend, weil noch keine entsprechenden Technologien zur Verfügung stehen. Jetzt wird erstmals die Forschung weitergehen. Die nächste Debatte wird angestossen, wenn ein Produkt auf den Markt kommt, dass die heutigen Parameter in nennenswerter Weise verändert. Dann hoffe ich, dass wir aufbauend auf Büchern, wie ich eines geschrieben habe, eine vernünftige Diskussionen führen können.
Herr Gesang, herzlichen Dank für das Gespräch.
Ganz spannend, was Gesang da sagt. Zwar finde ich den Begriff Enhancement schrecklich, enhanced wurde glaub ich schon mal für Hedge Funds verwendet. Was wäre eigentlich die Übersetzung? Verbesserung, Aufrüstung?
Anti-Aging, glaube ich, ist derzeit nur als Enhancement des schönen Scheins zu haben. Aber kann ja alles noch werden. Dann werden wir Gesangs Buch hervornehmen.
Das Thema Enhancement war auch Gegenstand einer Public Lecture an der James Martin 21st Century School in Oxford (http://www.21school.ox.ac.uk) mit Nobelpreisträger und Sidney Brenner-Kollege John Sulston, John Harris und Richard Dawkins. Sulston ist es, glaube ich, der sagt, es gebe in einer ferneren Zukunft keinen Menschen mehr, sondern nur die Lebewesen, die er neu geschaffen habe. Darauf solle man sich freuen. Der Titel heisst „What is Science for…“ und die Chose wird zum Teil als Webcast und Podcast sicht- und hörbar bereitgehalten.
http://www.21school.ox.ac.uk/video/200805_sulston.cfm
http://www.21school.ox.ac.uk/downloads/podcasts/200805_sulston.mp3
Es gibt tatsächlich keine schlaue Übersetzung: Perfektionierung, Verbesserung. Mit diesen Begriffen, darauf hat Gesang aufmerksam gemacht, schwingt automatisch eine positive Wertung mit, was es schwierig macht, sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Wer ist schon gegen eine Verbesserung.